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Halbes Jahr.

10 Dez

Heute ist der 10. Dezember 2020. Draußen ein paar Grad über 0. In meinen Blumenkästen vorm Fenster sind eben die Lichterketten angegangen. Heute vor genau einem halben Jahr kam ich ziemlich erledigt von der Arbeit, hab mir ne riesige Ladung Fisch mit Reis reingezogen und wollte mich eben für ein gepflegtes Nickerchen auf mein Bett schmeißen, als das Handy brummte. Ich überlegte noch, ob ich gleich drauf schaue oder doch zuerst die Augen zumache. Mit einem halben Blick linste ich auf das Display. Und war schlagartig wieder hellwach. Der hat doch nicht…? Der ist doch nicht etwa…?

Die Nachricht enthielt kein einziges Wort und sagte doch so viel. Dein Standort. Unten an der Elphi. Ich fasste es nicht. Was zum Teufel…?

Dieser Typ ey. Lange hattest du bei mir gar keinen Namen. „Dieser Typ von Instagram“. Wir hatten eine Weile hin- und hergeschrieben, es wurde mal das kommentiert, mal das nachgefragt, oft ging es um Einrichtungsthemen, da ich seit April dabei war, meine neue Wohnung einzurichten. Dann hüpften wir aber auch recht schnell in persönlichere und deepe Themen: Job, ehemalige Beziehungen, Familie, Elternschaft, Einstellungen zu Gott und die Welt – und ja, da kristallisierten sich so gewisse und verdammt viele Gemeinsamkeiten heraus. Einen wirklichen Fokus hattest du aber wohl schon sehr viel länger als ich auf diese Sache.

Dating in Coronazeiten hatte ich eh abgeschworen, war an dem Punkt angekommen, an dem ich dachte: allein bleiben ist ne echt okaye Option. Und falls doch noch mal irgendwann jemand vorbei kommt, dann joa, von mir aus. Du hattest den Zeitpunkt unbewusst sehr richtig gewählt.

Über ein Treffen hatten wir davor noch nicht gesprochen, du hattest dich schon mit der Frage, ob wir vielleicht mal auf WhatsApp wechseln könnten, schon so arg angestellt. Und ich bewundere heute noch deine Coolness, als ich dir daraufhin voll einen vor den Latz knallte und sagte – frei übersetzt – „Also, ich weiß ja nicht, was du dir davon versprichst, aber ich sag mal direkt, wie’s ist: jemand, der nicht in Hamburg wohnt, kommt für mich nicht in Frage. Können also gerne weiter schreiben, weil ist nett und so, aber dir sollte klar sein, dass da nicht mehr draus werden kann.“

(…hüstel…selten so falsch gelegen, aber dazu später.)

Ich glaube, ich hatte noch das GIF mit Obama à la Mic Drop dahinter gestellt – selbst solche Ansagen gingen bei uns nie ohne ne Portion Humor ab.

„Du…bist in HH?“

„Ja, hab mich wohl irgendwo verfahren.“

„Warum sagst du sowas denn nicht, ey?“

„Überraschungseffekt.“

„Beruflich?“

„NEIN du Nase! Was denkst du?“

„Zusammen gefasst etwa: ORRRRRR!“

„Eher so ‚Orrrrr, was’n Spinner?‘ oder ‚Orrrrr, was’n Stress jetzt‘?“

„Ne Mischung!?“

Erster Impuls war: Vorhänge zuziehen und abwarten, bis die Stadt da draußen wieder sicher ist. Aber nach einem Panik-Telefonat mit der besten Freundin, die mir nach ihrem Lachanfall den verbalen Arschtritt gab, den ich brauchte, zog ich mich 3mal um, um schlussendlich doch den Rock mit den Kreidespuren vom Schultag anzulassen, weil „hey, it’s me“. Moaaa, dieser Tag war echt anders geplant, eigentlich stand Möbelrecherche fürs Wohnzimmer auf dem Programm.

„Ich geb dir ne halbe Stunde, danach geh ich Sofas gucken. Arschkeks.“

„Wenn du das ernst meinst, wäre dies als außerordentlich konsequent zu bezeichnen.“

„Hey, für nen ersten Eindruck reichen auch 2 Minuten – da sind 30 schon echt großzügig bemessen.“

„Das mit der Romantik müssen wir echt noch üben.“

„Fresse!“

Während ich mir noch die Haare kämme, merke ich, dass ich ja nicht mal weiß, wie du aussiehst. Ich habe nie ein Foto gesehen.

„Wie erkenne ich dich denn? Trägst du ne rote Rose im Knopfloch?“

„Denke, ich erkenne dich. Die einzige vor Wut schäumende Person, die hier lang flaniert.“

„Aber ich dich nicht. Das ist unfair.“

Dein Foto sehe ich, als ich aus der Haustür trete mit dem Kommentar: „Deine letzte Chance, einen wichtigen Anruf vorzutäuschen.“

„Dachte eher an eine Videokonferenz, ist aktuell einfach zeitgemäßer und glaubwürdiger.“

„Natürlich.“

Und dann sah ich dich da sitzen. Auf dieser Bank vor der Elphi. Du hattest dich noch über den Wind beschwert – kein Wunder, du warst in Hamburg (hallo?) und saßt noch dazu genau in der Windschneise da in der Ecke. Klassischer Touri-Anfängerfehler. Tief durchatmen, er ist wahrscheinlich nervöser als du.

„Wenn du sagst, dass du jemanden kennen lernen willst, meinst du das offensichtlich verdammt ernst.“

Dieses Grinsen ey. Obwohl ich dich echt ne ganze Weile habe warten lassen.

„Darf ich dich in den Arm nehmen?“

„Ja, verdammt.“

„Soll ich nen Timer auf 30 Minuten stellen?“

Ich hasse ihn jetzt schon.

Wir brauchten drei Wochen, bis wir offiziell zusammen waren und trotzdem ist der 10. Juni der Tag, der uns im Kopf bleibt – da fing diese ganze echt verrückte Sache an. Sechs Monate und es kommt mir zum einen so vor, als wäre es nie anders gewesen und gleichzeitig zum anderen so, als ob dieses erste „Nicht-Date“ (es war kein Date, es war ein Überfall) erst ein paar Tage her ist. Ein halbes Jahr. Krass verrückt. Das mit uns.

Spoiler: das Sofa, das ich mir an dem Tag nicht mehr angucken konnte, kaufte ich dann mit ihm während unseres 3. Dates.

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Ode an die Wohnung

11 Apr

Du warst eine Gute. Du warst mein erster Anker hier in Hamburg. Mein Herzhafen. Mein Schiffsbauch, in den ich mich zurück ziehen konnte. Der mich beschützt.

Als ich damals zu dir fuhr, wusste ich kaum etwas über dich. Doch schon vorm Haus, bevor wir uns sahen, wusste ich: hier gefällt’s mir. Das fühlt sich gut an.

Ich schaute dich an und sah dein Potential. Sah, wie schön du bist, was mal aus dir werden kann, obwohl es in dir vor innerer Leere hallte. Bei jedem Schritt vernahm man das Knarzen deiner Bodenständigkeit, ein tiefer Seufzer wie ein alter muckscher Hamburger Kapitän.

Der Morgen danach – nach dem Umzug – wir hatten ein heilloses Chaos in dir angerichtet. Ich wachte davon auf, dass die rot-goldene Sonne über die Dächer blitzte und ich war sofort Zuhause.

Die ersten Monate – weiß ich noch – blieb ich immer wie versteinert stehen, wenn ich das Nebelhorn von den Containerpötten oder den Kreuzfahrtschiffen hörte. Dieses dumpfe, tiefe, lange Hafenpupsen. Ein Befreiungsrumpeln durch den ganzen Körper. Dazu Möwen, die über den Innenhof flogen und ihr Kreischen widerhallte. Ein Kopf freipustendes Urlaubssignal. Wie sehr Hamburg kann man in den eigenen vier Wänden bitte fühlen?

 

Du hattest so viele Ecken und Kanten. Und wenn man drum herum guckte, sah man ihn. Hamburgs Wahrzeichen. Jeden Morgen und jeden Abend hast du den Michel-Trompeter dich durchströmen lassen. Wie oft habe ich abends um kurz vor Neun das Fenster geöffnet, eine Windböe Hafen geschnuppert, die mir entgegen schlug, saß zwischen den Dachziegeln und hab leise „Der Mond ist aufgegangen“ mitgesungen. Das geht nur hier, in meiner Michel-Hood.

Wie du liegst. Zwischen Elbe und Michel. Roter Klinkerbau mit zwei Kirschbäumen vorm Haus. Mitten drin, zentraler geht’s nicht. Trotzdem hast du dir deine Ruhe bewahrt, bis auf das Treppenhaus, da hörte man alles. Wenn die Nachbarin mit ihrem Elefanten Gassi ging zum Beispiel. Aber dein Treppenhaus hat auch lustige Gesellen zu bieten gehabt. Herdbert fällt mir da ein. Über zwei Wochen stand ein alter Herd im 3. Stock. Irgendwann grüßte ich ihn leise im Vorbeigehen. Er bekam Augen von mir, Schuhe und Fliege und einen Schnurrbart. Kurz danach war er davon gelOfen und heizt nun sicherlich mit seiner Herddame durch die Welt.

Ich hab mit dir so viel erlebt. Viele Menschen hast du gesehen. Manche nur einmal, manche immer mal wieder, manche regelmäßig. Alle waren sie am Schnaufen, wenn sie die Treppen hoch zu dir geschafft hatten, aber die meisten mochten dich sehr, betonten deine Gemütlichkeit, obwohl oder gerade, weil du so schräg drauf warst (für Dachgeschoss halt normal). Weingeschwängerte Abende, viel Lachen, Tanzen beim Kochen auf den schwarz-weißen Küchenfliesen, Erzählen bis keine Bahn mehr fuhr.

Aber auch Trauer, Einsamkeit, Tränen, Schluchzen auf dem Badezimmerboden. Du hast dir alles angehört, hast deine Wände um mich gelegt und warst da.

Intime Momente mit verschiedenen Menschen (ich werde das nicht vertiefen, aber ich war überrascht), jeder einzelne kostbar, schön, kaum was zu bereuen.

Kleine Post-Its für ankommende Gäste. Eine Badezimmertür, die – wenn man sie nur angelehnt hat statt sie richtig zu schließen – immer wieder erst einen Spalt auf ging, um dann wieder zu zu schlagen und einen wahnsinnig machte. Kryptische Notizen des Vormieters am Türrahmen zum begehbaren Kleiderschrank – ich nannte es Kabüff. Das war es auch. Möbel, die man entweder gerade oder gerade zur Wand aufstellen konnte – beides ging nicht. Das kleine blaue Herzchen, das ich eines Tages an der Wohnungstür entdeckte – du hast deines eh immer nach außen getragen.

Die Postboten, die immer dankbar lächelten, wenn ich ihnen ein Stockwerk entgegen kam. Das kleine Kämmerchen in der Küche, das als Ablage diente und mit seiner niedlichen Schiebetür wie ein kleiner Hasenstall wirkte. Das Geräusch von Regen auf dem Dachfenster. Der etwas eklige Nachbar von gegenüber, der morgens im Bad bei geöffnetem Fenster immer erst mal einen schönen Hustenanfall zelebrierte. Wie ich abends mal im Sessel saß und plötzlich schwarzer Rauch vor deinen Fenstern stand, weil es weiter unten brannte und ich die Feuerwehr rief und echt unter Schock stand, wie schnell die Flammen hoch schlugen. Dieses Badezimmer – hellblaue Fliesen und beige Badewanne, ich konnte es mir nur mit einer Meer-Strand-Metapher schön reden.

 

Die Taubenfamilie, die unter der Dachrinne wohnte und mich nicht selten weckte mit ihrem Gegurre oder dem Kratzen ihrer Füße auf dem Fensterrahmen. Das Gefühl, nach knapp 3 Wochen Krankenhaus wieder zu dir zurück zu kommen. Endlich wieder zu Hause, das hat echt geholfen. Wenn ich deine Adresse nannte: „Mit zwei h und zwei f.“ – jedes Mal.

7 Jahre und 7 Monate. Verflixt.

Du warst eine Gute. Du warst mein erster Anker hier in Hamburg. Mein Herzhafen. Nun setze ich die Segel und ziehe um und weiter. Aber nur umme Ecke. Ich werde dir immer, wenn ich ab jetzt an dir vorbei laufe, unmerklich zunicken.

 

Aller guten Dinge…

26 Aug

Liebes Hamburg,

drei Jahre. In Silben: DREI (ok, das war jetzt irgendwie nicht so effektvoll, egal).

Drei Jahre sind wir jetzt schon zusammen. Gehen durch dick und dünn. Durch Regenpfützen und durch Sonnenschein. Durch die Hafencity und durch Planten un Blomen.

Für Dich würd ich sogar durch die Lappen oder durch’s Nadelöhr gehen. Im Moment gehst du mir viel durch den Kopf.

Du hast wieder alles dafür getan, mich glücklich zu sehen. Und wenn ich in Dir unterwegs bin, spüre ich es immer: „Du bist meins. Du bist perfekt für mich. Wir gehören zusammen.“

Ich würde so langsam behaupten, dass ich Dich kenne. So von allen Seiten. Ob von oben, von unten nach oben, mittendurch oder Landunter.

Riesenrad, Hafencity, Alter Wall

Riesenrad, Hafencity, Alter Wall

Fischmarkt bei Sturmflut

Fischmarkt bei Sturmflut

Flauschig im Stadtpark, weiß gepudert, mit den letzten bunten Herbstblättern oder mit Abkühlung in praller Sommerhitze.

Stadtpark, Michel, Alster, Elbstrand

Stadtpark, Michel, Alster, Elbstrand

Im Dunkeln oder hell erleuchtet.

Lichterfahrt durch die Speicherstadt, Hafen, Herbstdom

Lichterfahrt durch die Speicherstadt, Hafen, Herbstdom

Ich bin viel durch Dich hindurch gestreift, von einem Ende zum anderen und in der Mitte im Kreis.

Elbeindrücke

Elbeindrücke

Ich bin bis zu den Elbbrücken gejoggt, war auf wunderschönen Konzerten, bin wieder um die Alster gerannt und so oft über die Elbe geschippert.

Scott Matthew, Max Prosa mit Alin Coen

Scott Matthew, Max Prosa mit Alin Coen

Sich nach dem Alsterlauf nicht auf dem Erfolg ausruhen - nur daneben.

Sich nach dem Alsterlauf nicht auf dem Erfolg ausruhen – nur daneben.

Ich habe eine Woche am Strand in einem alten Kapitänshaus gewohnt und die vielen Gesichter des Hafens gesehen.

Wohnen am Elbstrand

Wohnen am Elbstrand

Manche denken, ich kenne Dich sogar schon so gut, dass sie wollten, dass ich in einer Zeitschrift über Dich erzähle. Das hab ich gern gemacht.

Artikel in der freundin

Artikel in der freundin

Und Hamburg, Du bist so schön, Du strahlst so hell, dass sogar alles um dich herum noch ein bisschen hübscher wird. Deshalb habe ich mir das auch mal angeschaut und war an der Ostsee, an der Nordsee (sogar 2mal) und in den Boberger Dünen.

Mehr Meer.

Mehr Meer.

Mehr Meer.

Mehr Meer.

Mehr Meer.

Mehr Meer.

Ostsee

Mehr Meer.

Boberger Dünen

Boberger Dünen

Und Hamburg, dass man von Dir aus einfach mal so ans Meer fahren kann, das macht Dich ja in meinen Augen besonders einzigartig.

„Du bist meins. Du bist perfekt für mich. Wir gehören zusammen.“

Aber Hamburg, meine Liebe, ich muss Dir etwas gestehen. Du bist nicht mehr die Einzige, die solche Worte von mir hört. Es gibt da jemanden. Schon seit geraumer Zeit. Und Hamburg, das ist was Besonderes zwischen ihm und mir.

<3

Er ist eigentlich nicht jemand, er ist derjenige welcher. Er ist der Mann, bei dem man den Artikel betont. Er hat damals dazu beigetragen, dass ich überhaupt zu Dir gefunden habe. Ohne ihn wäre ich vielleicht gar nicht bei Dir. Ich hab ihn Dir schon vorgestellt, erinnerst Du dich? Ich hab ihn schon oft mitgebracht oder her geholt. Ich hab ihm deine liebsten Ecken (und Kanten) gezeigt: Lieblingsplätze, Herzenspunkte.

Er mag Dich auch – wie könnte er nicht? Aber er wohnt weit weg. Verzwickte Situation ist das, Hamburg. Nenn mich egoistisch, aber ich will Euch beide. Zeitgleich. Nicht entweder oder. Und deshalb ist im dritten Jahr nun auch die Sehnsucht mein Begleiter. Egal, bei wem von Euch ich bin, ich vermisse immer einen. Wie das Leben so geht. Durch dick und dünn? Durch Regenpfützen und durch Sonnenschein? Komm Sehnsucht, lass uns einen Spaziergang machen.

Wer nicht?

Wer nicht?

Fensterblick.

4 Sept

Das ist jetzt die schönste Zeit des Tages. Wenn sich die Sonne langsam hinunter zum Wasser neigt und den Himmel in dieses Rosa taucht. Die leichten Schleierwolken davor sich in verschiedenen Grautönen daran schmiegen und der Himmel am Horizont die gesamte Farbpalette an Pastelltönen ausbreitet.

Wenn die Wellen unten ans Ufer schwappen, noch mit Bedacht, aber mit einem deutlichen ‚Hier sind wir. Hörst du uns?‘. Es ist Flut jetzt am Abend. Der vordere Strand, der morgens noch da ist und auf dem man viel besser laufen kann als dahinter im losen, tiefen Sand, wird nun überspült. Die dunklen Steine des Schutzdeiches nehmen die Wellen auf und lassen sie wieder los, ein harmonisches, eingespieltes Duo. Der zunehmende Halbmond thront stolz darüber, als ob er dafür verantwortlich sei. Ist er ja auch. Vielleicht schaut er sich das Ganze aber auch nur so fasziniert an wie wir hier unten.

Auf dem Weg vorm Haus geht die Laterne an und Pärchen laufen vorbei, Händchen haltend und sich etwas zuflüsternd. Gruppen von Jugendlichen lachen über die Ereignisse beim Grillen vorhin. Radfahrer nutzen die Tatsache, dass nun am Abend weniger los ist und setzen sich über das Fahrverbot hinweg. „Vernünftige fahren hier nicht mit dem Rad. Anderen ist es verboten.“ – ich muss immer an dieses Schild denken und wie ich schmunzelte, als ich es vor zwei Jahren das erste Mal hier um die Ecke sah.

Der Kater kommt und setzt sich neben meinen Laptop auf die Fensterbank. Ich schließe das rechte Fenster, so dass er hinter Glas sitzt, sein neugieriges Wesen verträgt nicht zu viel Freiluft ohne Auffangnetz darunter. Sicher ist sicher. Er lugt vorsichtig um die Ecke und schnuppert kurz, dann drückt er mir sein Köpfchen ins Gesicht und löscht mit der Pfote ein paar Buchstaben. Ich kraule ihn am Hals. Dann legt er sich neben mich und quietscht leise beim Atmen.

Gerade tuckert eine Fähre vorbei Richtung Finkenwerder. Keiner mehr drauf. Wer will auch so spät da noch hin? Ihre Spuren im Wasser lassen den Mann aus Holz, der auf der Elbe Wache hält, hin und her schwappen. Er steht im Schatten der Container, die gegenüber schon den ganzen Tag über aufgeladen werden auf diesen mächtigen Kahn, so lang, dass er fast die ganze Kaimauer besetzt.

Dieses ständige, tiefe Hafenbrummen hat etwas beruhigendes. Wie wenn dein alter Opa dich in den Arm nimmt und mit rauer Stimme ‚Alles gut, mein Schatz. Ich mach das schon!‘ murmelt. Mittlerweile ist es richtig dunkel geworden, die Nacht bricht herein. Das geht abends recht schnell.

Die Hafengiraffen haben ihre roten Lampen an den Spitzen angemacht, nach unten strahlen sie im warmen, gelben Licht. Wie eine Art Weihnachtslichterdekoration, dabei ist es da drüben bestimmt dreckig und laut und alles voller Beton und Stahl. Hier drüben wirkt es traumhaft. Zum Seufzen schön.

Das Wasser wirkt wie gemalt, die Lichtbalken tauchen die Elbe scheinbar in flüssiges Gold. Wie tausend Schichten klarer Folie, durch die man sanft hindurch pustet, heben und senken sich die Wellen. Kneift man die Augen etwas zusammen, hat der Blick darauf etwas meditatives, es beruhigt einen bis ins Tiefste. Dazu dann noch eine dieser Windböen, die einen Hauch kühles Meer dabei haben und einem klar machen, dass alles gut ist. Dass dieser Moment gut ist. Dass man davon genießen kann, so viel man will. Es ist genug für alle da.

Duuuu Hamburg, wir haben Zweijähriges, mein Schatz.

2 Aug

Gestern stand ich mit einem unglaublich gut gekleideten, mordsmaskulinen Mann („guter Freund“ war ihm zu lasch) an den Landungsbrücken. Abends um halb 11.

Seit einigen Tagen ist in Hamburg BluePort. Wichtige Gebäude und Wahrzeichen leuchten blau oder werden blau angestrahlt. Ein Kunstprojekt. Es sieht großartig aus, auch, wenn die Masten der Rickmer Rickmers im Dunklen ein wenig gespenstisch erscheinen.

Michel

Michel

Water

Water

Rickmer Rickmers

Rickmer Rickmers

Und dann wurde zur Eröffnung der Cruise Days ein großes Feuerwerk gezündet. Das wollte ich unbedingt sehen. Nicht wegen des eigentlichen Events. Sondern weil es irgendwie so ein bisschen mein Feuerwerk war. Oder vielmehr unseres. Das von Hamburg und mir. Wir beide. Wir haben nämlich Zweijähriges.

Feuerwerk CruiseDays

Feuerwerk CruiseDays

Feuerwerk CruiseDays

Feuerwerk CruiseDays

Feuerwerk CruiseDays

Feuerwerk CruiseDays

Im Nachtrag zu meinem Text zum Einjährigen schrieb ich, was ich mir für mein zweites Jahr mit Hamburg wünsche. Unter anderem wollte ich noch mehr von der Stadt einsaugen, noch mehr neue Ecken erkunden und auch den typischen Touristenkram erleben – auch, wenn ich gar kein Tourist bin. Zum Glück. Und dann, dass ich meinen Körper weiter verändern möchte. Und dass ich gerne eine 2. Liebe neben Hamburg (nämlich in Menschenform) finden würde.

Was davon in Erfüllung gegangen ist? Einiges. Vieles. Nicht alles. Manches nur zum Teil. Es folgt eine Auflistung (auf eine durchgängige Chronologie sowie Vollständigkeit wurde verzichtet):

Cap San Diego

Cap San Diego

– Meinen 1. Hamburg-Geburtstag feierte ich auf der Cap San Diego mit einem grandiosen Sonnenuntergang.

– Ich habe mit meinem Bruder eine Alster-Rundfahrt gemacht.

Alster

Alster

Alster

Alster

Falafel

Falafel

– Ich habe bei einem Umzug geholfen und danach waren wir Falafel essen. Altes Schanzengesetz.

Pandas #WWF

Pandas #WWF

– Ich bin zwischen jeder Menge kleiner Pandabären über den Rathausplatz gelustwandelt.

– Ich habe flauschige Frühlingsblütenbäume und kunterbuntes Herbstlaub gesehen.

Frühling

Frühling

Frühling

Frühling

Herbst

Herbst

– Ich bin einfach mal so durch die Speicherstadt gestreift.

Speicherstadt.

Speicherstadt.

Speicherstadt.

Speicherstadt.

– Ich habe eine Schiffstour durch den Container-Hafen mitgemacht und hatte dabei das beste Vorabend-Fotografen-Licht der Welt.

Containerhafen.

Containerhafen.

Containerhafen.

Containerhafen.

Containerhafen.

Containerhafen.

Plätzchen

Plätzchen

Plätzchen

Plätzchen

– Ich habe so viele Hamburg-Plätzchen gebacken, dass ein ganzer Schiffsbauch davon satt werden würde.

Krankenhaus

Krankenhaus

– Ich kenne nun auch das Krankenhaus in Altona, aber nur 6 Infusionen lang. Dann durfte ich abends wieder nach Hause.

 

Hamburg rockt Alter

Hamburg rockt Alter

– Ich hab Orkan Xaver überlebt, fand das sehr spannend, habe aber keine Fotos, weil ich mich nicht raus traute. Daher einfach mal das:

Stadthausbrücke

Stadthausbrücke

– In Hamburg spielt man statt „Stadt-Land-Fluss“ wohl lieber…

Phantom der Oper.

Phantom der Oper.

– Ich war nach „König der Löwen“ in diesem Jahr auch im „Phantom der Oper“.

Ship

Ship

– Ich war am heißesten Tag des Jahres 2013 so verrückt, eine historische Fleetfahrt zu machen, habe unendlich geschwitzt, aber keinen Sonnenbrand bekommen.

Lesung

Lesung

– Ich habe bei 3 Lesungen mitgemacht.

– Ich habe dabei zugeschaut, wie die Elbe son büschen zufror und wie der Hafengeburtstag ins Wasser fiel.

Elbe

Elbe

Hafengeburtstag

Hafengeburtstag

Vergleich

Vergleich

– Ich habe 15 Kilo abgenommen.

– Ich war endlich öfter im Schanzenviertel unterwegs.

Schanze

Schanze

Schanze

Schanze

Barkasse

Barkasse

– Ich kenne nun Leute mit Freikarten für Barkassenrundfahrten.

– Ich bin schon mehrfach durch den alten Elbtunnel getingelt und finde es jedes Mal schön. Auch, die Skyline von der anderen Elbseite aus anzuschmachten.

Elbtunnel

Elbtunnel

Skyline

Skyline

– Ich bin um 5 Uhr zum Fischmarkt gegangen und habe eine 1,80m große Zimmerlinde 2 km durch Hamburg getragen. Das war ein seltsamer Sonntag.

Fischmarkt

Fischmarkt

Fischmarkt

Fischmarkt

Fischmarkt

Fischmarkt

Krameramtsstuben

Krameramtsstuben

– Ich habe endlich die Krameramtsstuben besucht. Nur umme Ecke und hach, so niedlich.

St. Pauli

St. Pauli

– Ich war auf einem St-Pauli-Spiel. Gut, wir haben verloren, aber der Sonnenuntergang war grandios.

– Ich habe die Alster und Planten un Blomen als neue Laufstrecken für mich erobert und liebe es.

Planten un Blomen

Planten un Blomen

Alster

Alster

Alster

Alster

 

– Die Michelwiese ist meine Hood.

Michelwiese

Michelwiese

Michelwiese

Michelwiese

Michelwiese

Michelwiese

Michel

Michel

Michel

Michel

WM

WM

– Die Fußball-WM wurde auf einer Dachterrasse in der Hafencity zelebriert.

Landungsbrücken

Landungsbrücken

– Ich stand nachts an den menschenleeren Landungsbrücken und habe ein Poetry-Slam-Gedicht darüber geschrieben.

Kleine Dinge

Kleine Dinge

Kleine Dinge

Kleine Dinge

– Ich habe kleine Dinge gesehen und festgestellt, selbst die passen zu Hamburg.

Nachtlauf

Nachtlauf

Nachtlauf

Nachtlauf

– Ich habe im Juni beim 10. Sport Check-Nachtlauf teilgenommen, eine neue, persönliche Bestzeit geschafft und finde es nach wie vor verrückt, dass ich das durchgezogen habe.

– Ich war sehr oft am Strand. Da habe ich mal einem Kreuzfahrtschiff gewunken und es hat dann bestimmt nur für mich zurück genebelhornt. Das war schön.

Strand

Strand

Strand

Strand

Strand

Strand

Strand

Strand

Strand

Strand

– Hamburg bei Nacht ist immer sehr großartig (das wusste ich im 1. Jahr aber auch schon).

Rathaus

Rathaus

Alster

Alster

Michel

Michel

 

– Ich habe große Pötte gesehen.

QM2

QM2

QM2

QM2

Michel&Miri

Michel&Miri

– Meine Mama, mein Papa und mein Bruder kamen mich alle nacheinander besuchen und finden es wohl doch ganz in Ordnung, dass ich in Hamburg lebe.

Rathaus

Rathaus

– Ich habe ein großes Twitpicknick an der Alster veranstaltet mit Seifenblasenmaschine und Grammophon und dringend für wiederholungswürdig befunden.

Picknick

Picknick

Picknick

Picknick

Duuu Hamburg? Machen wir doch genau so weiter, denn wir sind so voll perfekt füreinander, nä?

P.S. Ach so, liebe Liebe, noch ein Hinweis für dich…MACH MA HINNE!

„Erst mal für immer.“ (1 Jahr Hamburg, Teil II)

1 Aug
„In Würzburg hätte es das nicht gegeben.“
„Ein Glück, dass du jetzt in Hamburg bist.“
 
Nachts…so gegen 2 Uhr stießen wir mit warmem Apfelsaft an. Er war den ganzen Tag im Auto umher gerollt. Umzüge laufen ja generell nicht so wie sie geplant waren. Aber dass bei mir, die allgemein hin eher als strukturiert und organisiert gilt, das so dermaßen schief läuft, dass jede Skischanze und so ein Turm in Pisa glatt eifersüchtig wären…konnte keiner ahnen.
 
Dank Ex-Vermieter, Unfall, Vollsperrung, Baustellen, Tempo-Drosselung des Umzugslasters, Feierabendverkehrs und einer Tagesstruktur von gerade mal 24-Stunden (so ein Scheiß) erst gegen 21 Uhr abends über die Pflastersteine der schmalen Einbahnstraße in Hamburg gerollt.
 
Dank Autofahrern, die Parkverbotsschilder wegen Umzugs wunderbar lustig ignorieren können, erst mal mit Polizeibeamten gesprochen, die zwar Freund(lich), aber keine Helfer waren und anschließend mein gesamtes Hab&Gut auf dem Bürgersteig abgestellt. Im Eiltempo, weil alle kommenden Autos nicht mehr durch kamen und zurücksetzen mussten.
 
Dank der späten Stunde nur noch drei Leute zum Helfen da, dafür aber 1000 Kisten und 2000 Möbel und einen 4. Stock und kein Aufzug.
 
Dank betrunkener, verblödeter, alter Männer einen kleinen Spurt hingelegt und meinen Akkuschrauber, einen Stuhl und ein kleines Wandregal zurück geholt und bei dem lallenden Kommentar: „Wir dachten, das Zeug ist zu Verschenken.“ mich nur mit Mühe zurückgehalten, keine männlichen Geschlechtsorgane gewaltsam zu zerstören.
 
Dank allem kurz vorm Verzweifeln.
 
Stockwerkweise schleppten wir die Kisten nach oben, draußen alles dunkel, kein Ende in Sicht.
Zwei junge Frauen schließen gerade ihre Fahrräder vorm Haus ab und beobachten uns…mit wehleidigem Blick.
„Hi.“
„Hallo.“
„Wohnt ihr hier?“Vorhofflimmern.
„Ja.“
„Ich zieh grad ein.“
„Schön, willkommen.“
„Sagt mal, blöde Frage…aber ihr kennt nicht zufällig ein oder zwei Männer mit Oberarmmuskeln, die spontan Lust hätten, für Kohle Kisten zu schleppen?“
„Nee, leider nicht.“
„Mhm. War’n Versuch.“
„Aber wir könnten helfen.“
„Echt???“
„Klar, ich hol mal noch Sabrina aus’m Nachbarhaus.“
Und da, mitten in der Nacht, an einem stinknormalen Wochentag, trugen drei fremde Mädels den Löwenanteil meiner Möbel bis unters Dach. Plauderten dabei fröhlich über Raumaufteilung und Wohnungsgrößen, Mietpreise und wer hier noch so alles wohnt. Und wollten danach nicht mal was dafür haben, bloß eine Einladung zur Einweihungsfeier. In Würzburg hätte man mich wohl wegen nächtlicher Ruhestörung angezeigt, empört mit Wohnungstüren geknallt und a weng was auf Frängisch gebabbelt.
Und so konnte ich nach einem ätzenden Tag und nach nur wenigen Stunden in meiner neuen Stadt schon das Klischee vom kühlen Norddeutschen direkt mal ad acta legen.
 Hamburg. Vereinfacht dargestellt.
Und heute ist das genau 1 Jahr her. Heute vor einem Jahr zog ich nach Hamburg. Einfach so. Weil ich es wollte. Und es mir ganz allein, aus eigener Kraft, ermöglicht hatte. Einfach mal durchgezogen, eins nach dem anderen, bis ich plötzlich da war.
 
 
 
Mit gefühlten Zeiträumen ist das ja so eine Sache. Das kennt wahrscheinlich jeder.
Auf der einen Seite kommt es mir so vor, als wäre ich wirklich gerade eben erst durch mein Viertel gelaufen, um mal zu sehen, was es da so gibt. Wie die Seitenstraßen aussehen. Schleichwege entdecken. Den nächsten Supermarkt suchen. Kreischen wie ein kleines Mädchen, als ich um die Ecke biege und direkt vorm Michel steh.Moin Hamburg...
An meinem ersten richtigen Morgen in Hamburg aufwachen, weil die Sonne hinter den gegenüberliegenden Dächern vom Innenhof aufgeht und alles in ein rot-goldenes Licht taucht.
An der Haltestelle ‚Baumwall‘ stehen und gar nicht mitbekommen, dass ich gerade die Bahn verpasst habe, weil meine Augen an den vielen Schiffen und dem Wasser hängen geblieben sind.
Oder mit Freunden was trinken gehen und dann abends durch Hamburg nach Hause laufen und denken: „Du läufst abends durch Hamburg nach Hause. Wie geil ist das denn bitte???“ Da überfällt dich dieses Gefühl, dass du jetzt wirklich und echt hier lebst, immer wieder aufs Neue.
 
Hafencity. Landungsbrücken. Alsterarkaden. 
Schneescheinwerfer. Die Rickmer Rickmers. Alsterschwäne.
Und auf der anderen Seite sind viele Dinge mittlerweile so selbstverständlich geworden…als wäre auf meinem ersten Babystrampler schon ein Anker drauf gewesen oder in meinem Milchfläschchen immer auch ein, zwei Tropfen Astra.
 
Neulich zum Beispiel lief ich spät abends an zwei Touristen vorbei, die offensichtlich die Orientierung verloren hatten, sich suchend umschauten und den Stadtplan in den Händen drehten, in jede Richtung hielten und wohl bedauerten, Alster...dass er kein Navi war und sprechen kann. Sie fragten, ob ich von hier sei und ich antwortete wie aus der Pistole geschossen:
„Ja sicher. Wo möchten Sie denn hin?“
„Wissen Sie, na ja, also…da, wo das viele Wasser mitten in der Stadt ist.“
„Da sind Sie in Hamburg überall richtig.“
Sie zogen leicht einen Mundwinkel etwas irritiert nach oben und ich wies ihnen brav den Weg Richtung Alster.
 
Kurzer Exkurs: In Großstädten sind Touristen ja eh so ein Phänomen. Die sind überall. Während sie in gleichfarbigen Jack-Wolfskin-Jacken laut diskutierend ein Fotomotiv nach dem anderen mit ihrer Kamera um den Hals jagen, bringe ich gerade ungeschminkt und in Gammelklamotten mein Leergut zum Rewe. Die wirken immer so gehetzt, weil sie sich ja in kürzester Zeit alles angucken müssen. Für mich ist das alles völlig normal und alltäglich. Wenn diese Postkartensammler sich irritiert umdrehen und „War dieses dumpfe Tröten gerade eine Schiffshupe?“ fragen und ich nur die Augen verdrehe und „Nein, ein Hafenpups!“ zurück blöken möchte.
Das Paradoxe ist aber: Ich wohne zwar hier, aber diese Menschlein, Wasserspiel.die der Dame mit dem hoch erhobenen Schirm und den Prospekten in der Hand hinterher dackeln, scheinen in der Tat schon mehr von Hamburg gesehen zu haben als ich. Es gibt so viele Dinge, die ich noch nie gemacht habe. Eine Alster-Rundfahrt. Oder durch die Speicherstadt bummeln. So eine geführte Schiffstour durch den Container-Hafen. Durch den alten Elbtunnel tingeln. Eine ganze Nacht aufm Kiez verbringen und wenn es hell wird, zum Fischmarkt und frühstücken. Diesen ganzen Touristenkram macht man irgendwie nie, weil man ja keiner ist. Man lebt ja richtig hier.
Vielleicht habe ich aber auch nicht weniger gesehen als die. Sondern nur anderes. Kleinere, verborgenere Dinge. Vielleicht sogar Schönere.
 
 Spielplatz. Wildwechsel. Speicherstadt. Mond und Elbphilharmonie. Herrlichkeit. Tiptop eingeparkt.
Zurück zum Thema:
Dieses Gefühl des Selbstverständlichen merkte ich recht früh.
Wenn man zum Beispiel das erste Mal im Schlafanzug Brötchen holt. Da weißt du einfach, dass du in deiner neuen Stadt angekommen bist.
Oder es völlig normal geworden ist, dass ich in die Änderungsschneiderei um die Ecke tapse und hinten auf dem Tisch meine abgegebenen Pakete raus suche, während Djani, der immer fröhliche Besitzer, nur zwinkert, eine Augenbraue hebt und dann seine Kundin weiter berät, wie hoch der Saum an ihrer Sommerhose sein sollte.
Wenn ich plötzlich so was wie eine Stammkneipe habe.
Oder man ans Telefon geht und sich mit ‚Moin‘ meldet.
Wenn ich meine alte Klasse in Würzburg besuche und das tiefe Bayerisch des Hausmeisters nicht mehr verstehe.
Dass ich mich abends mit Leuten treffe zum „Schnacken“ oder „Rumklönen“.
Generell ist das ein eindeutiges Zeichen bei mir, wenn ich die sprachlichen Eigenarten übernehme.
 
Sobald du dich in Hamburg verliebt hast, und das ging bei mir sehr schnell, dann läufst du – etwas debil lächelnd – an den Landungsbrücken entlang und hältst du mit ihr Strändchen. Und wer an deinem neuen Partner etwas auszusetzen hat, wird gnadenlos vernichtet.
„Er hat was gegen Hamburg gesagt.“
„MÖGE IHM EINE MÖWE AUF’N KOPP KACKEN!“
 
Woran ich auch merke, dass ich schon ein ganzes Jahr hier bin, ist die Tatsache, dass ich nun weiß, wie die Stadt zu jeder Jahreszeit aussieht.
Dass man die ersten Kastanien findet und in der Jackentasche aufhebt, weil das Glück bringen soll. Fast Leute umlaufen, weil man vom Gold an den Bäumen so fasziniert ist. Im Sessel sitzen und die ersten Mandarinen essen, weil Herbst ist.
 
Kastanien. Gülden. Herbst.Gebogener Regen.Regenfront.
 
 Regenstürme vorm Fenster und man selbst mit einer großen Tasse Tee dahinter. Danach Regenbögen bewundern. 
 
 
 Mein erster Advent. Mein erster Schnee.
 
Mein erster Advent.
Mein erster Schnee.
 
 
 
 
 
Dick eingepackt über den Weihnachtsmarkt schlendern, mit einer heißen Tasse Glühwein auf die Alster raus schauen und nachts unter dem Lichterbaum am Rathaus stehen.
Erst Puderzuckerdächer und dann morgens zu spät zur Arbeit kommen, weil du fast eine Stunde brauchst, dein Auto frei zu schaufeln.
Vereiste Äste und Fahrräder, weil die Regenrinne oben undicht ist.
Das Knacken der Eisschollen hören, die an einem auf der Elbe vorbei fließen.
 
Und auf der Kapuze glitzert's. Lichterbaum am Rathaus. Puderzuckerdächer. Baum. Tiefgekühlt. Regenrinne undicht? Eisschollenknacken.
 
Die ersten Tulpen kaufen und hoffen. Blütenmeer.
Alles weiß.Und dann die üppigen, flauschigen, rosa Bäume im Frühling. Im Kirschblütenregen stehen und denken: „Mir kann keiner was.“

 
 
 Hamburg-Ei.
Das ultimative Hamburg-Osterei gestalten.
 
 
 
Den ersten Hafengeburtstag feiern, weil es auch irgendwie ein bisschen mein eigener ist. <3AIDA-BÄM!
 
 
Bei Hitze und Sonnenschein mit der Fähre zum Strand raus fahren, grillen und kaum etwas selbst davon essen, weil man jedem Hund, der vorbei kommt, etwas abgeben mag.
Den Sonnenuntergang genießen und mit Sand in den Schuhen glücklich in der hereinbrechenden Dunkelheit wieder nach Hause tuckern.
 
Sonnenstrand. Grill-Nutznießer. Schubidu.
Über ein ganzes Jahr hinweg werden einem die Gegensätze klar. Die Veränderungen. Und dass ich Hamburg liebe, egal, welches Kleid es gerade trägt.
 
Ob Sand, Reste der Sturmflut oder knöcheltiefer Schnee.
 
 Sand. Meine erste Sturmflut. Dickster Winter in Hamburg.
Die Bäume deiner Straße im satten Grün, kahl oder schneebedeckt.
 
Grün. Kahl. Schneededeckt.
Der Michel im grellen Sonnenlicht, so dass man die Augen zusammen kneifen muss.
Im diesigen Einheitsgrau, in dem er sich manchmal nur erahnen lässt.
Oder prächtig leuchtend im Sonnenuntergang.
 
Sonnenmichel. Nebelmichel. Feuermichel.
Dinge, die noch komplett unbekannt und neu sind.
Dinge, die vollkommen alltäglich erscheinen, als wären sie nie anders gewesen.
So muss es wohl sein nach einem Jahr Hamburg.
 
Aber es gibt noch eine dritte Kategorie für mich:
Dinge, die ich kenne und liebe und immer noch mache wie am ersten Tag und hoffe, das auch noch in 10 Jahren so empfinden zu können:
 
Was Geräusche angeht.
Wie angewurzelt in der Wohnung stehen bleiben, sobald du das Tuten der Schiffe vom Hafen hörst, weil das etwas unglaublich Wunderschönes ist für deine Ohren.
Oder wenn Möwen über dich hinweg fliegen und kreischen und es jedes mal nach Urlaub klingt. Und du dich dann dabei erwischst, dass du eine Taube gurren hörst und nur denkst: „Die Möwe klingt aber komisch.“ Oder du in deine Wolldecke gewickelt hinterm Fenster kauerst, die Möwen auf dem Dach gegenüber beobachtest und leise „Meins. Meins. Meins.“ vor dich hinbrabbelst.Dachfensterbalkon.
Oder abends pünktlich um 9 das Dachfenster öffnen, damit du den Trompeter vom Michel hörst. Und dabei merken, dass du glücklich lächelst, egal, wie scheiße oder anstrengend dein Tag davor war.
Das metallene Quietschen von aneinander schlagenden Schiffsmasten.
Einsetzender Regen, der auf das Dachfenster trommelt. Weil’s in Hamburg ja nur regnet. Wissen wir alle.
 
Altona. Rathaus. Sonne küsst Hafen.
Was das Spüren angeht.
Den Wind, der vom Hafen her weht, dabei reflexartig die Augen schließen und tief einatmen.Blick auf die Elbe vom Michel aus.
Barfuß durch den kühlen Sand am Elbstrand stapfen.
Täglich lächeln, wenn du von der Arbeit kommst und über die Elbbrücken fährst und wieder zu Hause bist.
Die Faszination, wenn du in Hamburg am Hafen stehst…vor dir das Tor zur Welt liegt…und du trotzdem da bleiben magst. 
 
 
Danke Hamburg, dass du mich endlich hast ankommen lassen. Bei dir wie in mir selbst. Dass du mein Hafen bist. Jeden Tag.
Und wenn mich Leute fragen, wie lange ich denn gedenke, in Hamburg zu bleiben, antworte ich: „Erst mal für immer.“
Angekommen. Zu Hause.
 
Nachtrag:
Liebes Hamburg, ich wünsche mir für mein zweites Jahr mit dir:
 
Mehr Zeit für uns beide, einfach so durch dich hindurch streifen zu können, ohne etwas erledigen zu müssen. Einfach nur so, weil uns beiden danach ist. Dich noch mehr zu entdecken, noch mehr ineinander zu schwappen wie die Wellen in der Elbe.
Pauli an den Landungsbrücken.
Dass du mich weiterhin überraschst, mir Neues zeigst, mich beschützt und bei mir bist, wenn ich abends an den Landungsbrücken entlang spaziere und die Lichter im Hafen heller werden.
 
Viele Abende mit Freunden, neuen wie alten, die mich spüren lassen, wie lebendig ich bin. Nachts nach Hause laufen, die Nase in den Himmel strecken und so sehr genießen, bei dir zu sein.
 
Neben dir noch eine zweite Liebe zu finden. In Menschenform.
 
Mich und meinen Körper weiter zu verändern, weil du mir den Ansporn dazu gibst. Und sei es, durch die ein oder andere Windböe, die mich antreibt, noch etwas schneller zu laufen.
 
Und vielleicht doch noch etwas mehr Tourikram abzuhaken, weil’s ja zu dir gehört.
 
Und ansonsten drückt Meike Schrader mit ‚Hamburg-mein Hafen‘ so wunderbar aus, was ich eigentlich sagen will:
“…wenn wir zwei uns nicht verlieren,
dann kann mir nichts mehr passieren.“
 
 

So kann Abschied auch gehen. (1 Jahr Hamburg, Teil I)

30 Jul
„Und wie ist das in Hamburg so mit Lehrerstellen?“
„Da muss ich mich online bewerben.“
„Ach so, nimm aber ordentliches Papier.“
„Ja, sicher doch, Mama.“
 
Als fertiger Lehrer aus Bayern in ein anderes Bundesland zu wechseln ist im Allgemeinen so etwas wie Hochverrat am Weißwurstschnippel, man sollte mir mit dem Brez’n-Knoten den Hals zubinden, mich in einen Maßkrug stopfen, ihn mit blau-weißem Tischtuch umwickeln und mit der Scheißberschd n’aushaun, Kruzifix noch a moal.
Wie kann ich so etwas nur tun? Die Bedingungen für Lehrer sind nirgends so hervorragend wie in Bayern. Noch dazu hatte ich die Ehre, in München zu studieren, im so genannten Schweinchenbau (weil rosa) Seminare zu besuchen und mein 1. Staatsexamen abzulegen. Danach garantiert das beste Bundesland der Welt einem auch noch einen Platz für zwei Jahre Nerven zermürbendes Referendariat, in dem man sich völlig ausgekotzt und nicht mehr Frau ihrer Selbst morgens vor die Klasse schleppt und so tut, als hätte man alles im Griff. Zwei Jahre wurde man durch irgendwelche Artikulationsschemata und Referate, Lesetexte über Pädagogik und Ordnerwälzerei davon abgehalten, seinen eigentlichen Job auszuüben, nämlich Lehrer sein.
Das darf man erst danach. (Dazu muss ich anmerken, dass das leider nicht nur in Bayern so ist, das läuft bundesweit leider komplett falsch.)
Danach. Ja, danach. Danach war ich – milde ausgedrückt – so hinüber, dass an eine Bewerbung nicht zu denken war. Statt dessen wechselte ich bloß das Klassenzimmer und die Kinder. Bekam die ganz kleinen Pimpfe, deren Schultüten größer waren als sie selbst. Die völlig perplex waren, als ich das erste Mal die Tafel aufklappte, weil man „das Ding ja voll groß“ machen konnte.
Ich liebte die 1. Klasse. Nicht nur, weil es meine erste 1. Klasse war, sondern weil ich endlich so arbeiten konnte, wie mein pädagogisches Empfinden mir das sagte. Und die Erfolge gaben mir Recht. Es lief – wie man so sagt.
Wie konnte ich das also aufgeben? Wie mich weg bewerben? Meine Klasse „im Stich“ lassen?
WübuKnapp drei Jahre lebte ich doch schon in Würzburg, in das mich Bayern fürs Ref geschickt hatte. Und es ist schön da. Das Städtchen ist wunderhübsch, hat ein hohes kulturelles Angebot, schönes Wetter und einen Fluss, der sogar an meiner Haustür vorbei floss.
 
Und trotzdem setzte ich mich Anfang des Jahres 2012 hin und klickte mich durch die Online-Bewerbungswelt, registrierte mich, scannte Lebensläufe und Zeugnisse, lud hoch, bis der Laptop glühte.
Völlig ungebunden, keinen Partner oder Kinder, auf die man Rücksicht nehmen würde…wo möchte ich leben und arbeiten? Würzburg war etwas für ein paar Jahre gewesen, aber ich wollte mehr. Ich wollte Großstadt. Ich wollte ankommen. So richtig. So für länger. Seit drei Jahren trieb ich nur dahin, hatte mich nicht wirklich nach vorne bewegt.
Und ich hatte die Wahl. So weiter machen, an meine Klasse und die Eltern, an die Schule und diesen einen Menschen in Würzburg denken, der es sich ja vielleicht doch noch anders überlegen und zu seinen Gefühlen für mich stehen könnte…
oder ich konnte das machen, wovon ich schon seit Jahren träumte. „Irgendwann in meiner Lehrerlaufbahn will ich es da hin schaffen…irgendwann will ich dort wohnen können“…hab ich immer gesagt. In Hamburg.
Keine Ahnung wieso. Ich erinnere mich, dass ich davor nur ein einziges Mal in Hamburg war. Zwei Tage auf einer Uni-Veranstaltung. Und damals fuhr ich nicht voller Begeisterung zurück und sabberte dieser Stadt an der Elbe hinterher. Es war nett gewesen. Mehr nicht. Damals.
Aber als ich mir nun die Deutschlandkarte anschaute, leuchtete bloß die Hansestadt mir entgegen, nirgends sonst wollte ich hin. Alles andere wären bloß wieder Zwischenstationen gewesen.
Also gut. Hamburg.
 
Die erste richtige Hürde auf dem Weg dahin war: das Bewerbungsschreiben.
Habe Ihr sehr interessantes Stellenangebot gelesen“ oder
hiermit bewerbe ich mich um…“
Der erste Satz im Bewerbungsschreiben um einen neuen Job. Wichtig wie Sau und unglaublich schwierig. Ich wollte mich da nicht verstellen, nicht die Standardphrase tippen, irgendwie auffallen, doch immer noch authentisch bleiben.
Wenn ich Schulleiter wäre, eine neue Lehrerin suchte und fünf bis zwanzig dicke Briefumschläge auf meinem Schreibtisch liegen hätte, welcher Satz würde mich dazu bewegen, mir den Namen des Bewerbers zu merken, welcher Satz ließe mich angetan weiter lesen?
 
„Sehr geehrter Herr/Frau XY,
man sagte mir einmal, ich spräche mit einem leicht nordischen Akzent…“
 
Und das von einer aus Bayern. BÄM! BÄM! BÄM!
Prompt bekam ich von so ziemlich allen Schulen Rückmeldung, Einladungen zum Gespräch.
In zwei Tage ließen sich fünf Termine stopfen. Darunter das an der geheimen „Traumschule“. Diese Stelle klang so wahnsinnig gut. Mitte Mai saß ich kurz vor drei unglaublich nervös in diesem Büro, mir gegenüber fünf Menschen, die mich freundlich anblickten.
Und Fragen stellten. Und nickten. Und zuhörten, wie ich erzählte. Die überrascht waren, dass ich eine 1. Klasse aktuell ganz alleine wuppte, nicht mal eine Praktikantin hatte. Die lächelten, als ich auf die Frage nach Kenntnissen in der Gebärdensprache in eben dieser antwortete. Die sich Punkte notierten, in denen ich mir als „Neuling“ im Förderschwerpunkt ‚geistige Entwicklung‘ noch Anleitung wünschte. Die meinen bisherigen Kunstprojekten lauschten und meiner Zeit in Ecuador und Peru. Ich sprudelte recht souverän vor mich hin, musste zwischenzeitlich nur darauf achten, weiter zu atmen.
Dann sollte ich vorm Büro warten, man würde sich kurz absprechen und mir anschließend eine Einschätzung geben. Sprich: Ja oder Nein.
In Normalzeit stand ich vielleicht 3 Minuten da im Flur. In der Zeitrechnung von jemandem, dessen weiteres Leben maßgeblich beeinflusst werden könnte, stand ich da wie eine horizontale 8, nämlich eine Ewigkeit.
Und der Glücksbringer war auch dabei...
„Wir waren uns einig. Sie passen sehr gut in unser Schulprofil.“
„Ja?“
„Und wir möchten Ihnen gerne hier und jetzt ein Angebot machen.“
„Ja?“
„Sie können auch gerne noch mal 24 Stunden drüber nachdenken.“
„Nein.“
„Nein?“
„Nein, das brauche ich nicht. Wo soll ich unterschreiben?“
 Weil...
Wie in Trance ging ich kurz danach die Auffahrt zur Schule hinunter zum Parkplatz, ich heulte am Telefon, als ich meinen Eltern und Freunden davon erzählte. Erst eine Stunde später war ich wieder fähig, mit dem Auto zurück zu fahren und mit einer Flasche Sekt in die WG zu kommen, die mich damals beheimatete und anzustoßen. Weil.
 
 
Zwei Wochen später war ich wieder da. Die Möwen schrien es von den Dächern.
Es war Zeit, die zweite Hürde zu nehmen: Eine Wohnung finden.
Alter Schwede! Horrorstories hatte man mir erzählt, von erfolglosen Monaten der Suche, Massenbesichtigungen, horrenden Maklergebühren und generell einfach schier unmöglich.
Zwei bis drei Zimmer, dank Beamtengehalt bis 700 Euro warm, Altbau mit Holzdielen und Bad mit Fenster. Mehr brauchte ich doch gar nicht. Leider wollten das alle.
Nach 5 Tagen und gefühlten 100 Besichtigungen hatte ich wohl so ziemlich alles gesehen. So ziemlich alle Stadtteile, sogar Wandsbek und Hamm, Wohnungen, in denen die Schuhe am Boden fest klebten, 300 Leute vor der Haustür, in jede Richtung einen Block weit, Schlange stehen im Treppenhaus, Küchen, in denen man sich kaum umdrehen kann, Flure, in denen die Dunkle Seite der Macht wohnen musste, so duster waren die und eine Erdgeschosswohnung mit bodentiefen Fenstern, die dein Schlafzimmer zur Bühne für die Fußgänger davor gemacht hätten.
Zwischendrin fanden sich aber auch honigfarbener Holzboden, 3m hohe Decken, wunderschöne Fliesenteppiche aus früheren Jahrzehnten, Stuck, Balkone nach hinten raus, Altona.
Und keiner rief zurück.
Morgens ab 7 saß ich vorm Laptop, checkte alle gängigen Seiten, telefonierte ab 8 die Makler-Büros durch und schrieb einen Sammeltermin nach dem nächsten in meinen Terminkalender. Nichts zu machen.
Ich konnte nicht mehr. Ich sah mich schon in Würzburg auf gepackten Kisten und ohne neue Bleibe. Der Traum Hamburg geriet ins Wanken. Ich wollte nicht außerhalb wohnen. Ich wollte einfach nicht. Das musste doch gehen, verdammt noch mal.
Was soll ich sagen? Es ging tatsächlich. Nach 5 Tagen rief mich diese Maklerin vom Vortag an. Die Maklerin, der ich an der Haustür einen Stift geliehen hatte, um eine Nachricht für die anderen Bewerber zu schreiben und an die Türklinke hängen zu können. Die Maklerin, die mir dieses kleine, halbe Zimmer neben dem Bad gezeigt und mich entgeistert angeschaut hatte, als ich nicht sofort darauf kam, daraus einen begehbaren Kleiderschrank zu machen. Die Maklerin, der ich in einem Nebensatz sagte, dass dieses zweite Zimmer für mich als verbeamtete Lehrerin (!) ein perfektes Arbeitszimmer werden könnte…öhem! Die Maklerin, der ich noch einmal die Hand geschüttelt und lächelnd gesagt hatte, dass es mich sehr gefreut hat, mit ihr zu sprechen.
Und diese Maklerin rief an und sagte, sie hätte mich ausgewählt. Für diese Dachgeschosswohnung in der Neustadt. Wohnung200 Meter vom Hafen weg, 8 Min. zu Fuß zum Jungfernstieg, man hört den Trompeter vom Michel, wenn man nicht über die so traumhaft knarzenden Holzdielen läuft, meine geliebten Schrägen, wunderbar schiefe, weiße Wände, schwarz-weiße Fliesen in der Küche, ein roter Klinkerbau mit zwei alten Kirschbäumen vorm Haus und das alles zu einem Bruchteil an Miete, was ich auszugeben bereit gewesen wäre. Kurz gesagt: Volltreffer. Mehr Hamburg geht nicht.
Einen Tag später unterschrieb ich den Mietvertrag.
 
 
Innerhalb eines Monats hatte ich mir einen neuen Job und eine neue Wohnung in meiner Traumstadt besorgt. Das ging wahnsinnig schnell und war wahnsinnig toll.
Wieder in Würzburg kaufte ich mir euphorisch die ersten Umzugskartons und grinste breit, als die Kassiererin nach meiner Postleitzahl fragte und ich antwortete: „97084…noch!“
Würzburg machte mir den Abschied nicht wirklich schwer. Ich bin so müde...Wochenlang zwischen Kartons zu leben, Zeugnisse und Förderpläne zu schreiben, in einem Blätterchaos zu versinken, 500 Dinge möglichst bis gestern zu erledigen, da blieb kaum fürs Atmen Zeit. Der Stresspegel war über Monate extrem, die Zeit verstrich schnell, was gut für Hamburg, aber nicht für meine To-Do-Liste war.
 
Eine Woche vor den Sommerferien kam noch eine Hürde, die ich lange vor mir hergeschoben hatte. Meinen Schülereltern hatte ich meinen Wechsel schon mitgeteilt und musste damals schon die Tränen zurückhalten, als mich 11 betröppelte Gesichter anschauten. Aber – und das rechne ich ihnen bis heute hoch an – alle hielten dicht. Die Info sickerte zu keinem Kinderohr durch. Und so kam der Tag, an dem ich die Deutschstunde etwas eher beendete, so dass wir bis zum Schulschluss noch etwas Zeit hatten. Ich hatte mir davor tatsächlich Notizen zu Hause gemacht, mir einen logischen Weg überlegt, den die Kleinen nachvollziehen können und eröffnete mit: „Du hast bald Sommerferien. Sechs Wochen keine Schule. Und wenn du nach dieser Zeit wieder kommst, dann…ja dann…ist was anders als jetzt.“
Ein neuer Klassenraum wurde vermutet, vielleicht ein neuer Mitschüler, eine neue Sitzordnung oder weniger Hausaufgaben.
„Wenn du nach den Ferien wieder her kommst, stehe nicht mehr ich hier, sondern jemand anderes.“
Und schon schossen große Fragezeichen aus den Köpfen.
„Hä? Wie?“
Und dann erklärte ich ihnen, dass es da eine Schule gibt, in die Kinder gehen, die nicht laufen können und im Rollstuhl sitzen. Und Kinder, die Schwierigkeiten beim Lernen haben. Und Kinder, die nicht sprechen können. Und dass diese Schule deshalb mich gefragt hat, ob ich kommen und da helfen kann, ob ich den Kindern, die nicht sprechen, Gebärden beibringen möchte.
„Frau S., du kannst doch Gebärden!“
„Ja.“
„Ja, dann musst du unbedingt da hin.“
„Ja, ich weiß. Das hab ich mir dann auch überlegt.“
„Du bist toll, Frau S.“
 
Kurze Pause.
 
„Aber…dann…bist du ja bei den anderen Kindern und gar nicht mehr bei uns.“
„Ja, dann bin ich nicht mehr bei euch.“
„Oh.“
 
Spätestens als ich sagte, dass die neue Schule in der Nähe von Hamburg ist und man von Würzburg aus da fünf Stunden mit dem Auto fahren muss, fiel bei allen der Groschen.
Alster...Einige stürzten von ihren Stühlen und umarmten mich. Andere saßen ganz ruhig auf ihrem Stuhl.
Im Sitzkreis schauten wir noch Fotos von Hamburg und der neuen Schule an.
 
„Da fahren Schiffe mitten in der Stadt? Frau S., darf ich mit nach Hamburg?“
 
undElbe...
 
„Frau S., du musst dann jeden Tag 3 Möwen hierher fliegen lassen, damit wir wissen, dass es dir gut geht.“
 
Ein Schüler hat mich an diesem Tag sehr berührt. Er kam erst zum Halbjahr zu uns. Erstklässler und schon die dritte Schule. Hyperaktiv, kaum Regelbewusstsein…ich hatte viele „Kämpfe“ gehabt mit ihm in den letzten Monaten. Er war so ein ganz Cooler, der Gefühle zeigen blöd fand…außer Wut vielleicht, wenn man jemandem eine rein haut, das war ok.
Obwohl es eigentlich fast täglich Auseinandersetzungen gab, mochte ich ihn. Ob das umgekehrt der Fall war…da war ich mir nie sicher. Wir saßen nun alle so auf unserem Teppich, die restlichen Kinder staunten über die großen Schiffe und den „geilen Schulhof“ auf den Fotos und dann hör ich von rechts nur: „Frau S., kommst du dann gar nicht mehr wieder?“ Eine ganz leise Frage war das.
„Ich komme euch gerne noch mal besuchen, aber ich bin dann nicht mehr hier als Lehrerin an der Schule.“ Er sagte kein Wort mehr, senkte den Kopf, zog die Beine an seinen Oberkörper. Dann legte er zögerlich seine Hand auf mein Knie und schwieg, verharrte so bestimmt eine halbe Minute. Ich legte meine Hand auf seine. So kann Abschied auch gehen.
 
Und ein paar Tage später dann gab ich den Kids ihre Zeugnisse in die Hand, wir sangen unser „Ahoi-Lied“ von Wolfgang Plakate zum Lied, von den Kindern gestaltet.Müller noch mal, wir sagten, worauf wir uns in den Ferien freuen. Und dann drückte ich alle 11 noch mal nacheinander und ließ sie winkend davon springen in die Sonne. Eine Weile stand ich noch im Türrahmen, schaute traurig in den Klassenraum, seufzte, warf mir meine Tasche über die Schulter, schloss ab (im doppelten Sinne) und trat lächelnd mit hanseatischen Gedanken aus dem Gebäude.
 
 

Meine Beziehung.

3 Nov

Wir hatten gerade erst 3-Monatiges. Ein Viertel Jahr schon, dass wir zusammen sind. Eine kleine Ewigkeit, so fühlt es sich zumindest an. Und ich bin immer noch so verliebt wie am ersten Tag. Ich glaube ja…nein, ich bin mir sicher…das wird was Ernstes mit uns. Was für länger. So als wäre man endlich beim jeweils anderen angekommen. Eine tiefe Verbundenheit von Anfang an.

Gut, ich gebe zu, der Start war etwas holprig, da lief einiges schief, das Timing stimmte irgendwie nicht. Aber nun, da wir uns beide im Leben des anderen eingerichtet haben, sitzen wir abends am offenen Fenster und denken ‚Ach du.‘ und das ist schön.

 

So ist das. Mit Hamburg und mir.

Piggeldy wollte wissen, was Vorfreude ist.

9 Jul
Piggeldy wollte wissen, was Vorfreude ist.
„Frederick!“, fragte Piggeldy seinen großen Bruder, „Frederick, was ist Vorfreude?“
„Nichts leichter als das!“, antwortete Frederick, „Komm mit!“
Piggeldy folgte Frederick.
 
Sie liefen über grünes Gras, am Fluss entlang und über eine Brücke, auf der mächtige Löwen standen.
„Vorfreude…“, sagte Frederick, „Vorfreude ist die schönste Freude.“
„Aha!“, sagte Piggeldy, „Und was ist denn dann die zweit schönste Freude?“
„Was redest du da?“, brummte Frederick.
„Na ja…“, sagte Piggeldy, „…wenn du sagst, Vorfreude ist die schönste Freude, muss es ja auch eine zweit und eine dritt schönste Freude geben.“
„Ach“, seufzte Frederick, „Das sagt man eben so. Vorfreude ist, wenn man sich auf etwas freut, was ganz bald kommt.“
„Au fein!“, rief Piggeldy, „Und wenn das Etwas dann da ist, essen wir dann zusammen Kuchen?“
„Mit einem Etwas kann man doch keinen Kuchen essen!“, sagte Frederick.
„Das ist nicht schlimm.“, sagte Piggeldy, „dann bleibt mehr für uns beide übrig.“
„Vorfreude“, begann Frederick, „Vorfreude bedeutet, dass du dich schon auf etwas freust, obwohl es noch gar nicht da ist.“
„Aha!“, sagte Piggeldy, „Ich kann mich also vorfreuen. Und hinterher? Kann ich mich auch nachfreuen?“
„Das geht nur…“, sagte Frederick, „…das geht nur, wenn die Sache, auf die du dich gefreut hast…“
„Vorgefreut hast!“, unterbrach Piggeldy.
„Ja, also, das geht nur, wenn es eine ganz besonders tolle Sache ist. Dann kannst du dich davor freuen und während dessen und danach auch noch.“
„Au fein!“, rief Piggeldy, „Aber welche Sache kann denn so besonders toll sein, dass man sich so sehr vor- und während- und nachfreuen kann?“
„Hamburg.“, antwortete Frederick, „Da fällt mir nur Hamburg ein.“
„Dann…“, überlegte Piggeldy, „…dann sollten wir da hin gehen. Ich freu mich jetzt schon.“
 
Und Piggeldy ging mit Frederick nach Hause.