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Aus dem Reisetagebuch: Peru 2006. Eine Zugfahrt.

7 Mai

Im Reiseführer stand: „Wer Machu Picchu nicht gesehen hat, hat Peru nicht gesehen.“
Nach 7 Wochen im Land machten wir uns auf zu dieser alten Inkastadt, die es über 400 Jahre geschafft hatte, im dichten Nebelregenwald nicht entdeckt zu werden.

Am Morgen des 11.04.2006 ging es in aller Frühe mit dem Zug von Cusco nach Aguas Calientes, ein kleines Dorf mitten im Urwald (benannt nach den dortigen heißen Quellen).
Um an Höhe zu gewinnen und aus dem Tal, in dem Cusco liegt, heraus zu kommen, hat der Zug viermal die Richtung gewechselt und ist, mit Umlegen einer Weiche, quasi im ZickZack den Berg hoch gekrochen. Hatte ich so noch nie erlebt.

Die Landschaft habe ich immer mal wieder mit kleinen Bemerkungen in meinem Tagebuch festgehalten:

„…Um viertel nach 6 fahren wir eng an ärmlich wirkenden Hütten vorbei. Alles sandig, ein verschmutzter Fluss, Häuser nur selten verputzt. Einige Hunde sind unterwegs, ein kleiner Welpe müht sich mit der hohen Stufe am Hauseingang ab. Neblig, aber doch sonnengeflutet dampft Cusco nun schon unter uns….Zweiter Richtungswechsel an einer Treppe, die links von uns steil hoch zu den am Hang liegenden Hütten führt…Schönes gelbes Haus mit zwei kleinen braunen Balkons, rote Blumen vor blauem Himmel. Ein toller Blick über Cusco, erkenne einige Gebäude. Kakteen im Wechsel mit Wildblumen. Kinder laufen über einen mit Müll übersähten Hügel. Und wieder in die andere Richtung. Kaum befestigte Wege, steinig, lehmiger Boden. Die Wohnungen ärmlich, wenn wir einen Blick hinein erhaschen, ist es kaum vorstellbar, dass hier auch Menschen leben. Hupend schleppt sich der Zug höher. Bei jedem erneuten Blick auf die Stadt lichtet sich der Nebel etwas mehr. Drei Schweine grasen oben am steilen Hang. Die Wege in den Dörfern sind selbst zu Fuss schwer begehbar, Autos..Fehlanzeige, gibt es wohl nicht. Und noch einmal Richtungswechsel. Nichtssagender Blick einer alten Frau am Eingang ihres Hauses. Distelgewächse, bunte Büsche und viele Blumen säumen die saftig grünen Hügel neben uns; Müll wegdenken und es wirkt idyllisch. Viele Hunde gibt es hier, einige bevölkern einen alten, herunter gekommenen Basketballplatz. Das leise Quietschen auf den Schienen wirkt wie Musik. Auf Mauern werden Kakteen gepflanzt, um sich vor Eindringlingen zu schützen. Ein Mann schleppt viel Schilf auf seinem Rücken an einem Strick nach Hause, während drei Hunde, an einer Mauer liegend, die Morgensonne genießen. Schulkinder in Uniform winken dem Zug zu…Die grünen Berge werden langsam freier von Häusern, vereinzelt kleine Waldstücke…Schön gemütlich, sich, so leicht schaukelnd, am Hang entlang zu schlängeln. Weit hinten, nach dem grünen Tal mit einigen braunen Häusern tronen verschneite, grau-weisse Gipfel. Ein tolles Bild! Ein Fluss durchschneidet in sanften Bögen die Wiesen, auf denen Pferde, Esel und Kühe, angebunden an einen Pfahl, grasen (so spart man sich Zäune)…Nun geht es durch tiefeingeschnittene Täler, Felspartien wechseln harmonisch mit begrünter Fläche. Links unter uns fließt rauschend der Rio Urubamba. Alpenatmosphäre, die Berge, die sich zu beiden Seiten erheben, passen nicht ins Fenster, der Blick wandert steil nach oben, bis er das fast wolkenlose Blau des Himmels erreicht….“

Nur einen Tag später sitze ich mit T-Shirt in der Morgensonne und genieße dieses wirklich atemberaubende Panorama. Nebel hängt in den umliegenden Tälern, ein wunderschönes, fast kitschiges Bild, wie die Sonnenstrahlen durchbrechen und die grünen Terrassen um den Sonnentempel in der Mitte der Anlage noch grüner wirken lassen. Frühstücke um etwa 7 Uhr mit Brot und Apfel…und der Blick allein macht daraus was sehr Besonderes…“

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Eine Leseprobe…

24 Mär

…aus meinem Reisetagebuch Ecuador/Peru 2009:

30. Januar 2009, Freitag: Eine tiefschwarze Grinsekatze gegen die Tränen…

Was für ein Re-Flash. Man kann sie riechen, die südamerikanische Lebensart, das Einatmen verheißt für mich Freiheit, Abenteuer, Bekanntes, ein wohliges Gefühl im Herzen. Man schwitzt ein wenig und man genießt das – in einem Maße, das man nur schwer beschreiben kann. Alles Belastende, der Stress, die Hektik, der eilige Schritt durch die überfüllte Münchener Innenstadt, die Kälte, die einem ins Gesicht schneidet, ist weg. Einfach überm Atlantik irgendwo abgeworfen worden, so scheint es.

Draußen zwitschert gerade ein ecuadorianischer Vogel und kündigt sie kommenden Mittagsstunden an. Die Putzfrau singt mit. Ich liege auf meinem harten, aber bequemen Bett, das Zimmer hier in der Casa Helbling, mein Hostel in Quito, ist spartanisch eingerichtet, aber für eine Nacht völlig in Ordnung. Vor meinem Fenster ein kleiner Innenhof mit zwei Hängematten, die Eingangstür mit buntem Glas beruhigt die Augen. Die wurden gestern doch arg beansprucht:

Mein Vater bringt mich zum Flughafen. Einchecken ohne Probleme, bei einer Cola werden die letzten Gespräche geführt, die letzten Witze gemacht, die letzten Gedanken und Wünsche geteilt. So richtig realisiert habe ich es noch nicht, was gleich passieren wird. Beim Abschied dann die Tränen, die nicht aufhören wollen, die bei jedem erneuten Blick auf ihn, wie er da hinter der Glaswand steht und winkt, die Daumen drückt und lächelt, mir Mut machen will, einfach immer wieder hochkommen…sogar jetzt beim Schreiben wieder. Es ist einfach so rührend, was meine Eltern alles für mich tun und wie sehr sie mich unterstützen.

 

Vor ein paar Tagen noch meint eine Freundin zu mir:

Aber man kann ja auch nicht immer hier bleiben, sonst bindet man sich ja an.“

Sich anbinden. Ist das unbedingt was Schlechtes? Was Einengendes? An manches bindet man sich doch gerne. An jemanden, den man liebt. An tägliche Gepflogenheiten. An Schokolade. Vielleicht hängt man auch nur an Dingen und Personen, die man zwar nicht braucht zum Überleben, die man aber nur äußerst ungern wieder hergeben mag. Ob nun sich binden oder dran hängen, es ist jedenfalls eine Ver-bindung da.

Vielleicht entsteht diese negative Assoziation von „sich binden“, sprich: „nicht weg können“, „sich einschränken“ usw. auch nur dann, wenn das Binden nicht freiwillig geschieht, sondern man davon überrascht wird. Wenn das über einen hereinbricht und man sich plötzlich fragt, was passiert mit der Verbindung, wenn man bald soweit weg ist? Was macht man dann so weit draußen in der Welt, wenn zu Hause etwas geschieht, was Bindung so notwendig machen würde? Umspannt das die aber tausend Kilometer um den Globus? Oder reißt diese Verbindung irgendwo ab und kann man sowas als Tochter spüren? Was passiert, wenn die Informationsleitung unterbrochen wird? Einfach gerissen und ohne die Hoffnung, dass man sie wieder zusammenknoten könnte. Was macht man also? Bindet man sich, wählt den sicheren Weg, um für die Menschen daheim im Notfall da zu sein? Oder riskiert man den freien Flug? Auch auf die Gefahr hin, dass die Drachenschnur reißt, man weg geweht wird und nicht mehr rechtzeitig zurück findet…vielleicht erst zu spät, wenn der Sturm nachlässt, der große Wirbel bereits vorbei ist und Windstille herrscht…

 

Im Flugzeug gibt mir die Stewardess erst mal eine Flasche Wasser zur Beruhigung. Sehe ich wirklich so verheult aus? Aber da hat man wenigstens was, woran man sich festhalten kann. Wenn man dann so allein für sich da sitzt und darauf wartet, dass der Flieger den deutschen Boden verlässt, fragt man sich schon, ob man das eigentlich alles will. Will ich so lange weg von zu Hause? Allein? Die Gedanken, in Amsterdam einfach nicht umzusteigen, sondern wieder heim zu fahren, mischen sich mit denen, die sagen, dass diese Reise ja eine Belohnung ist. Eine Belohnung an mich selbst. Also etwas Gutes und Schönes. Eine Belohnung für dieses beschissene Jahr 2008, indem so viel kaputt gegangen ist. Womit ich bis heute nicht recht klar komme. Als der kleine, enge Flieger vom Münchener Boden abhebt bin ich innerlich froh, dass er mich von hier weg bringt. Und die dünne Mondsichel im kleinen ovalen Fenster, die mich – ein bisschen nach unten verrutscht – an die unsichtbare Grinsekatze aus „Alice im Wunderland“ erinnert, setzt noch mehr Mut und Kampfgeist frei, dieses Abenteuer zu schaffen.

Ich verstaue meinen Reisepass in meiner schmalen Gürteltasche, quetsche ihn zu den anderen Dokumenten, die für so eine Reise unentbehrlich scheinen.

 

Bei einem meiner letzten Arztbesuche habe ich von der Mitarbeiterin einen neuen Impfpass bekommen. In meinem alten wurde der Platz zu eng. Ich sollte wohl eher mal in Länder fahren, die gesundheitlich unbedenklicher sind… Andererseits reizt mich ein Aufenthalt im Regenwald mehr als eine Kaffeefahrt durch Bad Salzuflen. Vielleicht ist das aber auch nur die gesunde Gegenreaktion auf Pfadfinderlager im Nachbarort oder All-inclusive Urlaub auf Mallorca in der Kindheit und Jugend. Solche Dinge prägen und lassen einen gleichzeitig heraus finden, was für ein „Urlaubs-Typ“ man ist. Der Geschmack trifft sich in der Mitte: Bambushütte in exotischer Umgebung. Da bin ich dabei…

Aber sind die Spritzen mit all den Viren auch gleichzeitig die mit der dazugehörigen Ampulle Energie? Und für die Injektionen „Mut“ und „Durchhaltevermögen“ sollte man dann gleich noch den anderen Arm freimachen. Bekommt man, wenn man so in seinen Vorbereitungen steckt, seine Vorfreude gleich mit eingeimpft? Irgendwie ist da was Wahres dran. Durch das viele Lesen in Reiseführern, das Recherchieren im Internet und den Austausch mit seinen Volontär-Vorgängern bekommt man ein Gespür, wie es da sein wird, was einen erwartet und hofft, dass man in möglichst kurzer Zeit das gleiche Gefühl von Wohlbefinden und so was wie…na ja, „Heimat“ wäre zu viel gesagt…vielleicht „heimischem Asyl“ bekommt. So, dass man durch die Buchseiten hindurch greifen und schon mal regeln könnte, dass man sich dort morgens nach dem Aufwachen so gar nicht mehr fremd fühlt, sondern mit einem Lachen an die Arbeit geht.

Ach ja, von „Hoffnung“ bräuchte ich dann auch noch eine Auffrischung, Herr Doktor!