Zehn, Digga.

1 Aug

Nach einigen heißen Tagen zuletzt, tröpfelt es nun draußen vor sich hin. Alles dunkel, das Licht der Straßenlaternen spiegelt sich auf dem Asphalt und in den Scheiben der parkenden Autos. Ich reduziere die Helligkeit des Bildschirms, um beim Schreiben diese Stimmung ein wenig mittippen zu lassen. Die Stimmung meiner Stadt. Wie is‘ es grade, Hamburch? Du bist still, von weitem das Rauschen der nächst größeren Straße weiter vorne, ab und an eine kleine Böe, die die Halme des Lavendels im Blumenkasten vorm Fenster sanft hin- und her bewegen. Von den Bäumen fallen Regentropfen auf den Gehweg und vom Fleet her hört man das Wasser wie das Plätschern eines kleinen Bachs. Der Himmel ist bewölkt und blass lila beleuchtet wie meistens nachts. Die Lichter der Stadt. Die kleinen Lampions über dem Straßenbeet sind vorhin angegangen. Vor einigen Monaten habe ich eine Grünpatenschaft übernommen und gärtnere jetzt ein bisschen – machen viele hier in der Nachbarschaft und ich liebe es.

Es ist alles Heimat und Alltag und einfach Meins geworden über die Jahre. Und trotzdem ist das heute Abend, wenn der Michel bald Mitternacht schlägt, ein besonderer Moment. Den wollte ich beim Schreiben dieses Textes erleben. Ich hatte die ersten Jahre, in denen ich in Hamburg wohnte, immer etwas geschrieben, wenn dieses Datum auf dem Kalender erschien. Am 01. August. Habe eben auch noch mal nachgelesen, worauf damals mein HH-Fokus lag und wie ich diese Stadt Stück für Stück erkundet habe. Über die Jahre verlief sich das dann irgendwie – ich dachte zwar an unser Jubiläum, aber es wurde im kleinen Rahmen oder nur gedanklich darauf angestoßen.

Aber nun sind es zehn. Digga. Zehn Jahre lebe ich hier. Vor zehn Jahren schleppten wir gerade immer noch Umzugskisten in den 4. Stock in der Nachbarstraße in meine damalige erste Wohnung. Wie irre ist das? Ich erinnere mich noch sehr gut daran zurück, was ein fürchterlicher Tag und ein katastrophaler Umzug, alles lief schief damals, meine Fresse. Vor gut zwei Jahren hab ich dann dieser Wohnung zum Abschied leise zugenickt und zog während des 1. Lockdowns um. Nur umme Ecke mit einem Zimmer mehr und da verwirklichte ich mich so derbe beim Streichen der Wände und der kreativen Raumgestaltung, indem ich Stunden vor der Farbpalette im Baumarkt verbrachte, Nächte auf dem Küchenboden saß bei der Recherche im Netz, Möbel ohne Ende geliefert bekam und zusammen baute, verzweifelt auf der Leiter unter den Lampen viel über Elektrik und Kabel lernte und inneneinrichtungsmäßig einfach voll einen raus gehauen hab. Waren spannende Wochen in sehr seltsamen Zeiten. 

Und wo steh ich heute? Wo sind wir angekommen, Hamburg?

Es war nicht einfach, dich zu behalten. Über Jahre stand es auf der Kippe und fraß mich innerlich auf. Zunächst unmerklich, aber es knabberte an mir, man wog ab zwischen Mensch und Stadt und Gefühlen und Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Schlussendlich zeigte mir mein Körper mit allem, was ihm zur Verfügung stand, welcher Weg der für mich richtige ist. Ich blieb hier. Es war schmerzhaft. Und so unfassbar lehrreich für mich. Es dauerte Wochen und Monate, bis ich eines Nachmittags bemerkte, dass ich wieder lächelte, als ich Richtung Michel ging. Das war ein sehr befreiendes Gefühl, ich weiß es noch gut. Wischte viele Zweifel weg und verheulte Nächte am Hafen. Der Hafen, der mich immer wieder ruhig atmen ließ. Einige Zeit später wurde mir so viel bewusst, es traf mich schlagartig beim Lauftraining in der Hafencity. Ich blieb plötzlich wie angewurzelt stehen und dachte nur, wie krass richtig ich mich entschieden habe. Wie falsch alles andere gewesen wäre. Wie sehr du und ich uns stärken, du mich hast ankommen lassen, ich kann und will vor allem nicht ohne dich.

Als eine weitere Geschichte auch unter anderem wegen der Wohnorte scheitere, war ich kurzzeitig echt mal sauer auf dich, Hamburg. So nah du mir bist, so weit entfernt bist du offensichtlich für andere. Kann ich nicht auch mal beides haben? Die Stadt und den Menschen? Digga, was da los? Habe genug Gefühl für beides, Herr Gott noch mal.

Aber ich lernte irgendwann, das zu formulieren. Diesen Wunsch auszusprechen. Von vorne herein. Ohne Wenn und Aber. Als Voraussetzung für alles. Anker geworfen. Tja nun. Was soll ich sagen? Nun sitze ich hier am Schlafzimmerfenster, der neue Kleiderschrank für zwei ist aufgebaut, im Arbeitszimmer stapeln sich noch ein paar Umzugskisten und im Flur steht jetzt das schwarze Regal von ihm. In ein paar Wochen wohne ich hier nicht mehr alleine. Dann ist dieser Mensch hier. Bei mir. In Hamburg. Dieser Mensch, der mir noch vor dem 1. Date damals und ohne mich live gesehen zu haben zugesichert hat, dass er in einem möglichen Fall von „Boy meets Girl and big love und so“ zu mir ziehen würde, da mir das so wichtig ist. Und er hat Wort gehalten. Gegen alle logischen Dinge, die dagegen gesprochen haben. Gegen alle Argumente, die schlüssig und viel einfacher umzusetzen gewesen wären. Gegen alle Krisen, die über uns hereinbrachen. Er macht das für mich. Für uns. Ich glaube, weil wir uns so krass ähnlich sind, dass er als Einziger versteht, was Hamburg mit mir macht. Das ist groß. Das ist Liebe ey. Und ich kann meine Dankbarkeit und Freude manchmal gar nicht in Worte fassen. Dieses Gefühl, dass wir genau hier an diesem Ort zusammen gehören. Dass das nicht nur meine Stadt ist, sondern auch seine und unsere. Dass wir alles wuppen können, was da noch kommen möge. Danke Hamburg nachträglich, dass du in der Vergangenheit immer dann dazwischen gegrätscht hast, wenn etwas nicht sein sollte.

Zehn Jahre und nun beginnt ein neues Kapitel. Eine neue Seite im Stadtführer. Den wir aber wohl kaum brauchen werden, wir kennen uns ja schon. 

Zeit und Raum

15 Feb

Ich war mir mit dem gelben Kleid nicht ganz sicher, zupfte an dem Stoff herum und stand doch etwas nervöser als ich eigentlich sein wollte in Neumühlen und wartete auf deinen Bus. 

Und ich wusste nicht, was mir lieber war. Dieses erste richtige Date heute, das man verabredet hatte, auf das man sich vorbereiten konnte…oder doch die vorherige sehr spontane Variante, die du ein paar Tage zuvor gewählt hattest, indem du mir einfach völlig aus dem Nichts an einem Mittwoch Nachmittag deinen Standort geschickt hattest à la „Moin. Bin umme Ecke. Komm mal her.“ Bewirkte damals zwar einen Puls jenseits von gut und böse bei mir und ich hab dich mehrfach dafür verflucht, mich so zu überfallen…aber am Ende brachte ich dich mit deinem Arm um meine Schulter noch zur Bahn, interpretierte deinen Blick mit „Du überlegst, ne?“ offensichtlich richtig und wich deinem Kuss-Versuch – wie ich finde – äußerst elegant aus. Und das war nicht mal seltsam, sondern fühlte sich völlig entspannt und lustig und vielversprechend an. Du fuhrst damals völlig geplättet nach Hause. Ich schickte einer Freundin auf dem Heimweg eine Sprachnachricht und meinte – und hey, das ist für mich schon hochgradig begeistert: „Also…joa, ne? Glaub, den würd ich schon noch mal treffen.“ 

Du fragtest gleich am Tag drauf, wie viel Vorlaufzeit ich denn bräuchte, um mich auf ein erneutes Treffen mental vorzubereiten und nun stand ich da an diesem Sonntag Abend. 

„Das kannst du doch nicht machen.“, grinst du, als du aus dem Bus steigst.

„Was denn?“

„So da stehen und so aussehen.“

Ok, das Kleid war wohl doch ne gute Wahl. Wir spazieren den kleinen Fußweg oberhalb des Elbstrandes zurück, die Nervosität weicht nach und nach entspannter Plauderei. Aber diese innere Anspannung, die einen immer wieder zum Grinsen bringt, die blieb. Das sollte auch so. Schon im Garten umarmst du mich von hinten, als wir vorne am Geländer stehen. Vor uns der Hafen mit dicken Pötten, Volleyballspielern im Sand, Nachbarn hinter der Hecke, gerade beim Abendessen, die Sonne machte sich so langsam bereit, die Szenerie zu verlassen. Hamburg at it’s best. Und wir mittendrin. Diese zwei Menschen, die sich gerade erst begegnet waren.

Es war faszinierend. Ich, die zu diesem Zeitpunkt zu einer Expertin in Sachen „sich nicht mehr auf jemanden einlassen wollen“ mutiert war, fühlte keinen spontanen Fluchtreflex, wie bei anderen Dates davor. Die Nähe war gut. Angenehm. Bisschen viel, bisschen schnell, aber so stellte sich auch nicht die Frage „Mag der mich?“ – daran hast du von Anfang an keinen Zweifel gelassen. Woher auch immer du diese Sicherheit nahmst. 

Mit Picknickdecke und Sushi saßen wir dann da, der Wein war viel zu süß, wir lachen viel und als wir für diesen Text hier neulich überlegten, worüber wir da eigentlich so gesprochen haben, fiel uns kaum noch was Konkretes ein. Einzelheiten verschwimmen viel mehr in einem wohligen Gefühl, das dieser ganze Abend auslöste. Ohne Essensboxen zwischen uns, rutschte man nach einer Weile dann auch näher zusammen, unter einer Decke mit Harmonie und viel in die Augen gucken.

Was witzig war (mehr für mich als für dich): wir hatten davor schon übers Küssen gesprochen (eigentlich total verrückt, dafür, dass wir uns erst ein Mal gesehen hatten). Und ich hatte dich damals gebeten, mir diesen Zeitpunkt zu überlassen (harte Challenge, i know). Es hatte was Leichtes, was Spielerisches, war aber genau so natürlich und unausweichlich klar, dass es passieren würde. Und obwohl dieser Augenblick von Anfang an und zwischendurch den ganzen Abend über locker einzubauen gewesen wäre, wartete ich ab. Gespräche – oder präziser: unsere Gespräche, weil irgendwie special – konnten ebenso anziehend sein. Wenn Kommunikation zwischen zwei Menschen funktioniert – das ist unfassbar sexy. 

Es wurde später und auch kühler und keiner wollte, dass dieses krasse Ding, was hier ablief, wegen einer Uhrzeit oder Witterung zu Ende geht. Und da wir ja beide so sehr erwachsen und vernünftig sind und du im Vorfeld angemerkt hattest, den Tag darauf noch frei zu haben…tja nun…wurden kurz danach alle Sitzpolster und Decken, die wir im Gartenhäuschen finden konnten, auf dem Boden ausgebreitet und ein Nachtlager errichtet. Und ja, ich rede immer noch von unserem zweiten Treffen. Verrücktheitsgrad drölfzig, aber das passte einfach zu dieser ganzen Geschichte.

Du hattest auf deinem iPad den animierten Kurzfilm über den kleinen Strandläufer „Piper“ dabei – da hatte ich dir beim ersten Treffen eine Geschichte zu erzählt. Eingekuschelt im Dunkeln, mit Blick auf die Lichter des Hafens, unser kleines Kino. Schon ziemlich perfekt. Ich springe zwischendurch noch mal hoch in die Wohnung, um den Katern, auf die ich die Tage aufpasste, noch mal Futter hinzustellen, mich umzuziehen und stehe dann Haare kämmend am Fenster, schaue auf den Garten unten, dass du da jetzt wartest und überlege, was du wohl grade denkst.Verdammt. Das ist was, glaub ich. Dieses Gefühl, sich von allem, was da kommt, einfach mal überrollen zu lassen – auch, wenn man das so noch nie erlebt hat, aber innerlich weiß, dass es was Gutes ist. Den Katern noch ne lieb gemeinte Kopfnuss geben und dann wieder die Treppen runter.

Wieder im „Schlafgemach“ sage ich gerade irgendwas zu dir, als du dein Versprechen brichst, mich plötzlich am Arm an dich ziehst und küsst. Hast es nicht mehr ausgehalten – kann man dir nicht übel nehmen. Und trotz der offensichtlichen Nähe, die sich über Nacht ergab, war da auch ein Gefühl, diesem Menschen innerlich einen Schritt näher zu kommen. Na ja, nicht nur einen Schritt – wir rannten schon fast.

„Bis über beide Ohren…“, flüsterst du mir irgendwann zu.

Zwischen Schlafträumen, dahin dösen, kuscheln, auf den Hafen gucken, kichern, zu hartem Boden, Haare wuscheln und dem anderen beim Schlafen zuhören verging die Zeit, bis es draußen hell wurde, Hunde unten am Strand die Morgenrunde drehten.

Nachdem ich das Gefühl vom Pfadfinderlager früher, wenn man morgens völlig verstrahlt aus dem Zelt fällt, abgeschüttelt hatte, machten wir uns auf in die Strandperle zum Frühstück. Danach griffen wir uns zwei Decken und lagen den halben Tag im Schatten an einem meiner Herzorte in Hamburg am Elbstrand. Kühlten uns im Wasser ab, kletterten über Bäume, wurden von einer Ente beobachtet, ich schlief in deinem Arm einfach noch mal ein. Derbe vertraut, obwohl so neu – das Alles. 

Beim Zurücklaufen halte ich dir meine Hand nach hinten hin, das ist dir in Erinnerung geblieben. Gutes Zeichen. Du machst zwei große Schritte und greifst sie dir.

Nachdem ich dich später zum Zug geschickt hab, stehe ich wieder oben am Fenster, betrachte den kleinen Notizblock, den du mir geschenkt hast, weil ich beim ersten Treffen erwähnte, dass ich oft Sachen vergesse, die man mir erzählt, ich das aber nie böse meine und den dazu passenden Rotstift (weil Lehrerin). Ich hatte dir eine Packung Wasserbomben besorgt – wir hatten schon Insider, Metaphern, die man in kleine Aufmerksamkeiten umsetzen konnte. Krasse Sache. Ich puste ein paar Seifenblasen, die du mir mitgebracht hattest, in die Luft. Die Kater sitzen daneben. Zeit und Raum. Verrückt das Alles.

Halbes Jahr.

10 Dez

Heute ist der 10. Dezember 2020. Draußen ein paar Grad über 0. In meinen Blumenkästen vorm Fenster sind eben die Lichterketten angegangen. Heute vor genau einem halben Jahr kam ich ziemlich erledigt von der Arbeit, hab mir ne riesige Ladung Fisch mit Reis reingezogen und wollte mich eben für ein gepflegtes Nickerchen auf mein Bett schmeißen, als das Handy brummte. Ich überlegte noch, ob ich gleich drauf schaue oder doch zuerst die Augen zumache. Mit einem halben Blick linste ich auf das Display. Und war schlagartig wieder hellwach. Der hat doch nicht…? Der ist doch nicht etwa…?

Die Nachricht enthielt kein einziges Wort und sagte doch so viel. Dein Standort. Unten an der Elphi. Ich fasste es nicht. Was zum Teufel…?

Dieser Typ ey. Lange hattest du bei mir gar keinen Namen. „Dieser Typ von Instagram“. Wir hatten eine Weile hin- und hergeschrieben, es wurde mal das kommentiert, mal das nachgefragt, oft ging es um Einrichtungsthemen, da ich seit April dabei war, meine neue Wohnung einzurichten. Dann hüpften wir aber auch recht schnell in persönlichere und deepe Themen: Job, ehemalige Beziehungen, Familie, Elternschaft, Einstellungen zu Gott und die Welt – und ja, da kristallisierten sich so gewisse und verdammt viele Gemeinsamkeiten heraus. Einen wirklichen Fokus hattest du aber wohl schon sehr viel länger als ich auf diese Sache.

Dating in Coronazeiten hatte ich eh abgeschworen, war an dem Punkt angekommen, an dem ich dachte: allein bleiben ist ne echt okaye Option. Und falls doch noch mal irgendwann jemand vorbei kommt, dann joa, von mir aus. Du hattest den Zeitpunkt unbewusst sehr richtig gewählt.

Über ein Treffen hatten wir davor noch nicht gesprochen, du hattest dich schon mit der Frage, ob wir vielleicht mal auf WhatsApp wechseln könnten, schon so arg angestellt. Und ich bewundere heute noch deine Coolness, als ich dir daraufhin voll einen vor den Latz knallte und sagte – frei übersetzt – „Also, ich weiß ja nicht, was du dir davon versprichst, aber ich sag mal direkt, wie’s ist: jemand, der nicht in Hamburg wohnt, kommt für mich nicht in Frage. Können also gerne weiter schreiben, weil ist nett und so, aber dir sollte klar sein, dass da nicht mehr draus werden kann.“

(…hüstel…selten so falsch gelegen, aber dazu später.)

Ich glaube, ich hatte noch das GIF mit Obama à la Mic Drop dahinter gestellt – selbst solche Ansagen gingen bei uns nie ohne ne Portion Humor ab.

„Du…bist in HH?“

„Ja, hab mich wohl irgendwo verfahren.“

„Warum sagst du sowas denn nicht, ey?“

„Überraschungseffekt.“

„Beruflich?“

„NEIN du Nase! Was denkst du?“

„Zusammen gefasst etwa: ORRRRRR!“

„Eher so ‚Orrrrr, was’n Spinner?‘ oder ‚Orrrrr, was’n Stress jetzt‘?“

„Ne Mischung!?“

Erster Impuls war: Vorhänge zuziehen und abwarten, bis die Stadt da draußen wieder sicher ist. Aber nach einem Panik-Telefonat mit der besten Freundin, die mir nach ihrem Lachanfall den verbalen Arschtritt gab, den ich brauchte, zog ich mich 3mal um, um schlussendlich doch den Rock mit den Kreidespuren vom Schultag anzulassen, weil „hey, it’s me“. Moaaa, dieser Tag war echt anders geplant, eigentlich stand Möbelrecherche fürs Wohnzimmer auf dem Programm.

„Ich geb dir ne halbe Stunde, danach geh ich Sofas gucken. Arschkeks.“

„Wenn du das ernst meinst, wäre dies als außerordentlich konsequent zu bezeichnen.“

„Hey, für nen ersten Eindruck reichen auch 2 Minuten – da sind 30 schon echt großzügig bemessen.“

„Das mit der Romantik müssen wir echt noch üben.“

„Fresse!“

Während ich mir noch die Haare kämme, merke ich, dass ich ja nicht mal weiß, wie du aussiehst. Ich habe nie ein Foto gesehen.

„Wie erkenne ich dich denn? Trägst du ne rote Rose im Knopfloch?“

„Denke, ich erkenne dich. Die einzige vor Wut schäumende Person, die hier lang flaniert.“

„Aber ich dich nicht. Das ist unfair.“

Dein Foto sehe ich, als ich aus der Haustür trete mit dem Kommentar: „Deine letzte Chance, einen wichtigen Anruf vorzutäuschen.“

„Dachte eher an eine Videokonferenz, ist aktuell einfach zeitgemäßer und glaubwürdiger.“

„Natürlich.“

Und dann sah ich dich da sitzen. Auf dieser Bank vor der Elphi. Du hattest dich noch über den Wind beschwert – kein Wunder, du warst in Hamburg (hallo?) und saßt noch dazu genau in der Windschneise da in der Ecke. Klassischer Touri-Anfängerfehler. Tief durchatmen, er ist wahrscheinlich nervöser als du.

„Wenn du sagst, dass du jemanden kennen lernen willst, meinst du das offensichtlich verdammt ernst.“

Dieses Grinsen ey. Obwohl ich dich echt ne ganze Weile habe warten lassen.

„Darf ich dich in den Arm nehmen?“

„Ja, verdammt.“

„Soll ich nen Timer auf 30 Minuten stellen?“

Ich hasse ihn jetzt schon.

Wir brauchten drei Wochen, bis wir offiziell zusammen waren und trotzdem ist der 10. Juni der Tag, der uns im Kopf bleibt – da fing diese ganze echt verrückte Sache an. Sechs Monate und es kommt mir zum einen so vor, als wäre es nie anders gewesen und gleichzeitig zum anderen so, als ob dieses erste „Nicht-Date“ (es war kein Date, es war ein Überfall) erst ein paar Tage her ist. Ein halbes Jahr. Krass verrückt. Das mit uns.

Spoiler: das Sofa, das ich mir an dem Tag nicht mehr angucken konnte, kaufte ich dann mit ihm während unseres 3. Dates.

Ode an die Wohnung

11 Apr

Du warst eine Gute. Du warst mein erster Anker hier in Hamburg. Mein Herzhafen. Mein Schiffsbauch, in den ich mich zurück ziehen konnte. Der mich beschützt.

Als ich damals zu dir fuhr, wusste ich kaum etwas über dich. Doch schon vorm Haus, bevor wir uns sahen, wusste ich: hier gefällt’s mir. Das fühlt sich gut an.

Ich schaute dich an und sah dein Potential. Sah, wie schön du bist, was mal aus dir werden kann, obwohl es in dir vor innerer Leere hallte. Bei jedem Schritt vernahm man das Knarzen deiner Bodenständigkeit, ein tiefer Seufzer wie ein alter muckscher Hamburger Kapitän.

Der Morgen danach – nach dem Umzug – wir hatten ein heilloses Chaos in dir angerichtet. Ich wachte davon auf, dass die rot-goldene Sonne über die Dächer blitzte und ich war sofort Zuhause.

Die ersten Monate – weiß ich noch – blieb ich immer wie versteinert stehen, wenn ich das Nebelhorn von den Containerpötten oder den Kreuzfahrtschiffen hörte. Dieses dumpfe, tiefe, lange Hafenpupsen. Ein Befreiungsrumpeln durch den ganzen Körper. Dazu Möwen, die über den Innenhof flogen und ihr Kreischen widerhallte. Ein Kopf freipustendes Urlaubssignal. Wie sehr Hamburg kann man in den eigenen vier Wänden bitte fühlen?

 

Du hattest so viele Ecken und Kanten. Und wenn man drum herum guckte, sah man ihn. Hamburgs Wahrzeichen. Jeden Morgen und jeden Abend hast du den Michel-Trompeter dich durchströmen lassen. Wie oft habe ich abends um kurz vor Neun das Fenster geöffnet, eine Windböe Hafen geschnuppert, die mir entgegen schlug, saß zwischen den Dachziegeln und hab leise „Der Mond ist aufgegangen“ mitgesungen. Das geht nur hier, in meiner Michel-Hood.

Wie du liegst. Zwischen Elbe und Michel. Roter Klinkerbau mit zwei Kirschbäumen vorm Haus. Mitten drin, zentraler geht’s nicht. Trotzdem hast du dir deine Ruhe bewahrt, bis auf das Treppenhaus, da hörte man alles. Wenn die Nachbarin mit ihrem Elefanten Gassi ging zum Beispiel. Aber dein Treppenhaus hat auch lustige Gesellen zu bieten gehabt. Herdbert fällt mir da ein. Über zwei Wochen stand ein alter Herd im 3. Stock. Irgendwann grüßte ich ihn leise im Vorbeigehen. Er bekam Augen von mir, Schuhe und Fliege und einen Schnurrbart. Kurz danach war er davon gelOfen und heizt nun sicherlich mit seiner Herddame durch die Welt.

Ich hab mit dir so viel erlebt. Viele Menschen hast du gesehen. Manche nur einmal, manche immer mal wieder, manche regelmäßig. Alle waren sie am Schnaufen, wenn sie die Treppen hoch zu dir geschafft hatten, aber die meisten mochten dich sehr, betonten deine Gemütlichkeit, obwohl oder gerade, weil du so schräg drauf warst (für Dachgeschoss halt normal). Weingeschwängerte Abende, viel Lachen, Tanzen beim Kochen auf den schwarz-weißen Küchenfliesen, Erzählen bis keine Bahn mehr fuhr.

Aber auch Trauer, Einsamkeit, Tränen, Schluchzen auf dem Badezimmerboden. Du hast dir alles angehört, hast deine Wände um mich gelegt und warst da.

Intime Momente mit verschiedenen Menschen (ich werde das nicht vertiefen, aber ich war überrascht), jeder einzelne kostbar, schön, kaum was zu bereuen.

Kleine Post-Its für ankommende Gäste. Eine Badezimmertür, die – wenn man sie nur angelehnt hat statt sie richtig zu schließen – immer wieder erst einen Spalt auf ging, um dann wieder zu zu schlagen und einen wahnsinnig machte. Kryptische Notizen des Vormieters am Türrahmen zum begehbaren Kleiderschrank – ich nannte es Kabüff. Das war es auch. Möbel, die man entweder gerade oder gerade zur Wand aufstellen konnte – beides ging nicht. Das kleine blaue Herzchen, das ich eines Tages an der Wohnungstür entdeckte – du hast deines eh immer nach außen getragen.

Die Postboten, die immer dankbar lächelten, wenn ich ihnen ein Stockwerk entgegen kam. Das kleine Kämmerchen in der Küche, das als Ablage diente und mit seiner niedlichen Schiebetür wie ein kleiner Hasenstall wirkte. Das Geräusch von Regen auf dem Dachfenster. Der etwas eklige Nachbar von gegenüber, der morgens im Bad bei geöffnetem Fenster immer erst mal einen schönen Hustenanfall zelebrierte. Wie ich abends mal im Sessel saß und plötzlich schwarzer Rauch vor deinen Fenstern stand, weil es weiter unten brannte und ich die Feuerwehr rief und echt unter Schock stand, wie schnell die Flammen hoch schlugen. Dieses Badezimmer – hellblaue Fliesen und beige Badewanne, ich konnte es mir nur mit einer Meer-Strand-Metapher schön reden.

 

Die Taubenfamilie, die unter der Dachrinne wohnte und mich nicht selten weckte mit ihrem Gegurre oder dem Kratzen ihrer Füße auf dem Fensterrahmen. Das Gefühl, nach knapp 3 Wochen Krankenhaus wieder zu dir zurück zu kommen. Endlich wieder zu Hause, das hat echt geholfen. Wenn ich deine Adresse nannte: „Mit zwei h und zwei f.“ – jedes Mal.

7 Jahre und 7 Monate. Verflixt.

Du warst eine Gute. Du warst mein erster Anker hier in Hamburg. Mein Herzhafen. Nun setze ich die Segel und ziehe um und weiter. Aber nur umme Ecke. Ich werde dir immer, wenn ich ab jetzt an dir vorbei laufe, unmerklich zunicken.

 

Aller guten Dinge…

26 Aug

Liebes Hamburg,

drei Jahre. In Silben: DREI (ok, das war jetzt irgendwie nicht so effektvoll, egal).

Drei Jahre sind wir jetzt schon zusammen. Gehen durch dick und dünn. Durch Regenpfützen und durch Sonnenschein. Durch die Hafencity und durch Planten un Blomen.

Für Dich würd ich sogar durch die Lappen oder durch’s Nadelöhr gehen. Im Moment gehst du mir viel durch den Kopf.

Du hast wieder alles dafür getan, mich glücklich zu sehen. Und wenn ich in Dir unterwegs bin, spüre ich es immer: „Du bist meins. Du bist perfekt für mich. Wir gehören zusammen.“

Ich würde so langsam behaupten, dass ich Dich kenne. So von allen Seiten. Ob von oben, von unten nach oben, mittendurch oder Landunter.

Riesenrad, Hafencity, Alter Wall

Riesenrad, Hafencity, Alter Wall

Fischmarkt bei Sturmflut

Fischmarkt bei Sturmflut

Flauschig im Stadtpark, weiß gepudert, mit den letzten bunten Herbstblättern oder mit Abkühlung in praller Sommerhitze.

Stadtpark, Michel, Alster, Elbstrand

Stadtpark, Michel, Alster, Elbstrand

Im Dunkeln oder hell erleuchtet.

Lichterfahrt durch die Speicherstadt, Hafen, Herbstdom

Lichterfahrt durch die Speicherstadt, Hafen, Herbstdom

Ich bin viel durch Dich hindurch gestreift, von einem Ende zum anderen und in der Mitte im Kreis.

Elbeindrücke

Elbeindrücke

Ich bin bis zu den Elbbrücken gejoggt, war auf wunderschönen Konzerten, bin wieder um die Alster gerannt und so oft über die Elbe geschippert.

Scott Matthew, Max Prosa mit Alin Coen

Scott Matthew, Max Prosa mit Alin Coen

Sich nach dem Alsterlauf nicht auf dem Erfolg ausruhen - nur daneben.

Sich nach dem Alsterlauf nicht auf dem Erfolg ausruhen – nur daneben.

Ich habe eine Woche am Strand in einem alten Kapitänshaus gewohnt und die vielen Gesichter des Hafens gesehen.

Wohnen am Elbstrand

Wohnen am Elbstrand

Manche denken, ich kenne Dich sogar schon so gut, dass sie wollten, dass ich in einer Zeitschrift über Dich erzähle. Das hab ich gern gemacht.

Artikel in der freundin

Artikel in der freundin

Und Hamburg, Du bist so schön, Du strahlst so hell, dass sogar alles um dich herum noch ein bisschen hübscher wird. Deshalb habe ich mir das auch mal angeschaut und war an der Ostsee, an der Nordsee (sogar 2mal) und in den Boberger Dünen.

Mehr Meer.

Mehr Meer.

Mehr Meer.

Mehr Meer.

Mehr Meer.

Mehr Meer.

Ostsee

Mehr Meer.

Boberger Dünen

Boberger Dünen

Und Hamburg, dass man von Dir aus einfach mal so ans Meer fahren kann, das macht Dich ja in meinen Augen besonders einzigartig.

„Du bist meins. Du bist perfekt für mich. Wir gehören zusammen.“

Aber Hamburg, meine Liebe, ich muss Dir etwas gestehen. Du bist nicht mehr die Einzige, die solche Worte von mir hört. Es gibt da jemanden. Schon seit geraumer Zeit. Und Hamburg, das ist was Besonderes zwischen ihm und mir.

<3

Er ist eigentlich nicht jemand, er ist derjenige welcher. Er ist der Mann, bei dem man den Artikel betont. Er hat damals dazu beigetragen, dass ich überhaupt zu Dir gefunden habe. Ohne ihn wäre ich vielleicht gar nicht bei Dir. Ich hab ihn Dir schon vorgestellt, erinnerst Du dich? Ich hab ihn schon oft mitgebracht oder her geholt. Ich hab ihm deine liebsten Ecken (und Kanten) gezeigt: Lieblingsplätze, Herzenspunkte.

Er mag Dich auch – wie könnte er nicht? Aber er wohnt weit weg. Verzwickte Situation ist das, Hamburg. Nenn mich egoistisch, aber ich will Euch beide. Zeitgleich. Nicht entweder oder. Und deshalb ist im dritten Jahr nun auch die Sehnsucht mein Begleiter. Egal, bei wem von Euch ich bin, ich vermisse immer einen. Wie das Leben so geht. Durch dick und dünn? Durch Regenpfützen und durch Sonnenschein? Komm Sehnsucht, lass uns einen Spaziergang machen.

Wer nicht?

Wer nicht?

Fränzi.

12 Mär

Ich habe ein Buch aus meiner Kindheit gelesen.
Eins meiner liebsten – damals wie heute: „Fränzi mag gern Marmelade“ von Russell Hoban.

Es geht ganz viel um Essen. Und ich singe auch. Oder probiere es.

Fränzi mag gern Marmelade

Fränzi mag gern Marmelade

Wie Vater seine Katze bekam.

26 Feb

Eines Morgens bei Kaffee und Zeitung kommt ihm die Idee. Das Marmeladenbrot mit Quark lässt er auf dem Holzschneidebrett, das vom häufigen Benutzen in der Mitte schon eine Einkerbung hat, einfach liegen. Er steht auf, stellt seine karierten Hausschuhe im Flur vor den Schrank, zieht seine linke Tennissocke etwas zurecht, steigt dann in die Turnschuhe, streift die dunkelgrüne Jacke mit den Goldknöpfen über, die mal seinem Vater gehört hat und verlässt das Haus. Er schließt die Haustür nie ab. Er hat außen eine Klinke, jeder kann einfach hereinkommen. Viele verstehen das nicht oder halten es schlicht für nicht möglich. Sie bleiben wie angewurzelt draußen stehen und klingeln immer wieder, selbst, wenn er von innen „Komm rein, wenn du Kuchen dabei hast!“ ruft.

Die Luft ist schon recht warm, die Sonne ist eben über den Hügel mit den kleinen Schrebergärten hinter der Bahnlinie gekrochen. Man hört den kleinen Bach plätschern, der direkt hinter seinem Haus vorbeifließt.

Ein paar Meter weiter die Straße hoch betritt er die Tierarztpraxis Stein, die sich schon seit Jahren in dem hellblauen Haus mit den weißen Sandsteinrahmen um die Fenster befindet. Die Ärztin kennt ihn gut, obwohl er kein Kunde bei ihr ist. Sie sind schon ewig perdu, das ist ja direkte Nachbarschaft.

Es sind noch keine Frauchen und Herrchen mit Körbchen, Käfigen oder Leinen da, die Tür zum Behandlungsraum steht offen.

„Moin Hermann. Was machstn du hier?“

„Du“, sagt er, „ich hab mir überlegt, so ne Katze, das wär was für mich. Wir hatten 16 Jahre einen Hund, aber davor hatten wir lange eine Katze. Die wurde damals vom Schäferhund des Nachbarn geholt.“

„Du willst eine Katze?“, fragt sie, räumt ein paar Tupfer in eine Schale und desinfiziert sich danach die Hände.

„Du kennst doch hier aufm Dorf jeden. Wenn du mal von wem hörst, der einen Wurf Junge hat, denkste mal an mich, ja?“

„Aber was für ne Katze magste denn?“
„Na ja“, überlegt er, „auf jeden Fall noch ne ganz Kleine. Und vielleicht eine mit nem hübschen Fell. So weiß und dann bunte Flecken wär schön. Und natürlich gesund. Gesund muss sie sein.“

„Aha. Ja ok. Ich schau dann mal und meld mich dann. Kann aber dauern.“
„Eilt nicht“, pfeift er und trottet zufrieden durchs Wartezimmer wieder nach draußen.

Zuhause spült er das Geschirr, schmeißt eine Ladung Weißwäsche in die Maschine und holt neues Feuerholz aus dem Schuppen, als das Telefon klingelt.

„Ich habe eine Katze für dich!“, flötet sie fröhlich.

„Wie?“

Er ist doch etwas sehr erstaunt. Es ist kaum eine Stunde vergangen.

„Ja, ein Fundtier. Komm doch mal rüber.“
„Was für ne Katze ist es denn genau?“
„Ähm, komm doch mal rüber jetzt.“
„Karola, ist es ein Jungtier?“

„Joa…also…komm doch einfach mal.“

Er traut der Sache nicht.

„Wie sieht sie denn aus? Hübsches Fell?“
„Sicher, sicher. Also bis gleich.“

Dann legt sie auf.

Das ist ja komisch, denkt er. Dann stellt er seine karierten Hausschuhe im Flur vor den Schrank, zieht seine rechte Tennissocke etwas zurecht, steigt dann in die Turnschuhe, streift die dunkelgrüne Jacke mit den Goldknöpfen über, die mal seinem Vater gehört hat und verlässt das Haus.

Zwei Minuten später steht er wieder in der Praxis. Vor ihm hockt eine Katze.

„Sie wurde im Waldstück neben dem Krankenhaus gefunden.“

„Aha.“

Die ist doch quasi ausgewachsen.

„Sie hat gerade erst geworfen. Die Jungen sind aber alle schon weg.“

„Aha.“

Grau-braun. Dunkelgrau und braun! Wenn man ganz genau hinguckt, erkennt man zwischendrin Ansätze eines getigerten Fells.

„Ein Bekannter hat sie aufgegriffen. Dem ist schon länger aufgefallen, dass sie da rumstreunert.“

„Aha.“

Irgendwie sieht die ja ziemlich abgemagert aus.

„Aber ich wollte doch…“

„Ich weiß doch nicht, wohin mit ihr jetzt. Die kommt sonst ins Tierheim.“

„Aha.“

Er schaut mit zusammengekniffenen Augen prüfend das Wesen vor sich an. Das wiederum interessiert sich nicht im Geringsten für diesen Typen mit Vollbart und gestreiftem Flanellhemd und blickt statt dessen etwas arrogant an die Decke. Klassisch Katze eben.

„Ist sie wenigstens gesund?“
„Ja klar. Topfit.“

Er seufzt erleichtert.

Die Ärztin dreht sich kurz zu ihrem Schreibtisch und hält dann eine kleine Dose in der Hand.

„Also…wenn du ihr die nächsten drei Monate zweimal am Tag diese Tabletten unters Futter mischst.“

„NA HÖR MAL!“, regt er sich auf.

„Ich wollte eine junge Katze. Mit hübschem Fell. Und gesund. Und dann komm ich extra noch mal rüber und was willst du mir da andrehen? Eine Katze, die älter ist und schon ein Muttertier. Und dann auch noch grau-braun, also bitte. Und dann soll ich der noch ewig Medikamente geben? Haste mir nicht zugehört vorhin? Das ist doch genau das Gegenteil von dem, was ich wollte.“

Und damit war völlig klar, was nun passieren würde. Das Schicksal dieses Tieres war besiegelt. Ein für alle mal.

„Find ich klasse. Die nehm ich.“

Das war vor gut 10 Jahren. Er nannte sie Moppes, weil sie so mager war. So als Motivation. Mittlerweile ist sie so dick, dass sie nur noch über den Zaun des Nachbarn kommt, indem sie sich oben festkrallt und dann eine Fettrolle nach der anderen durch Hin- und Herwippen über den Maschendraht bugsiert. So lange, bis sie vorn überkippt. Sie gucken zusammen Tagesschau und Krimi, sie versucht immer, beim Fußball den Ball zu fangen, wenn er seitlich aus dem Bild rollt. Sie schleppte ihm mal eine blutige Taube ins Haus und zerlegte sie unterm Schrank und er durfte alles aufwischen und sie danach auch noch dafür loben. Und sie drängelt sich morgens zwischen ihn und die Zeitung und schleckt den Quark vom Marmeladenbrot, wenn er einfach aufsteht, weil er wieder eine Idee hat.

Fensterblick.

4 Sept

Das ist jetzt die schönste Zeit des Tages. Wenn sich die Sonne langsam hinunter zum Wasser neigt und den Himmel in dieses Rosa taucht. Die leichten Schleierwolken davor sich in verschiedenen Grautönen daran schmiegen und der Himmel am Horizont die gesamte Farbpalette an Pastelltönen ausbreitet.

Wenn die Wellen unten ans Ufer schwappen, noch mit Bedacht, aber mit einem deutlichen ‚Hier sind wir. Hörst du uns?‘. Es ist Flut jetzt am Abend. Der vordere Strand, der morgens noch da ist und auf dem man viel besser laufen kann als dahinter im losen, tiefen Sand, wird nun überspült. Die dunklen Steine des Schutzdeiches nehmen die Wellen auf und lassen sie wieder los, ein harmonisches, eingespieltes Duo. Der zunehmende Halbmond thront stolz darüber, als ob er dafür verantwortlich sei. Ist er ja auch. Vielleicht schaut er sich das Ganze aber auch nur so fasziniert an wie wir hier unten.

Auf dem Weg vorm Haus geht die Laterne an und Pärchen laufen vorbei, Händchen haltend und sich etwas zuflüsternd. Gruppen von Jugendlichen lachen über die Ereignisse beim Grillen vorhin. Radfahrer nutzen die Tatsache, dass nun am Abend weniger los ist und setzen sich über das Fahrverbot hinweg. „Vernünftige fahren hier nicht mit dem Rad. Anderen ist es verboten.“ – ich muss immer an dieses Schild denken und wie ich schmunzelte, als ich es vor zwei Jahren das erste Mal hier um die Ecke sah.

Der Kater kommt und setzt sich neben meinen Laptop auf die Fensterbank. Ich schließe das rechte Fenster, so dass er hinter Glas sitzt, sein neugieriges Wesen verträgt nicht zu viel Freiluft ohne Auffangnetz darunter. Sicher ist sicher. Er lugt vorsichtig um die Ecke und schnuppert kurz, dann drückt er mir sein Köpfchen ins Gesicht und löscht mit der Pfote ein paar Buchstaben. Ich kraule ihn am Hals. Dann legt er sich neben mich und quietscht leise beim Atmen.

Gerade tuckert eine Fähre vorbei Richtung Finkenwerder. Keiner mehr drauf. Wer will auch so spät da noch hin? Ihre Spuren im Wasser lassen den Mann aus Holz, der auf der Elbe Wache hält, hin und her schwappen. Er steht im Schatten der Container, die gegenüber schon den ganzen Tag über aufgeladen werden auf diesen mächtigen Kahn, so lang, dass er fast die ganze Kaimauer besetzt.

Dieses ständige, tiefe Hafenbrummen hat etwas beruhigendes. Wie wenn dein alter Opa dich in den Arm nimmt und mit rauer Stimme ‚Alles gut, mein Schatz. Ich mach das schon!‘ murmelt. Mittlerweile ist es richtig dunkel geworden, die Nacht bricht herein. Das geht abends recht schnell.

Die Hafengiraffen haben ihre roten Lampen an den Spitzen angemacht, nach unten strahlen sie im warmen, gelben Licht. Wie eine Art Weihnachtslichterdekoration, dabei ist es da drüben bestimmt dreckig und laut und alles voller Beton und Stahl. Hier drüben wirkt es traumhaft. Zum Seufzen schön.

Das Wasser wirkt wie gemalt, die Lichtbalken tauchen die Elbe scheinbar in flüssiges Gold. Wie tausend Schichten klarer Folie, durch die man sanft hindurch pustet, heben und senken sich die Wellen. Kneift man die Augen etwas zusammen, hat der Blick darauf etwas meditatives, es beruhigt einen bis ins Tiefste. Dazu dann noch eine dieser Windböen, die einen Hauch kühles Meer dabei haben und einem klar machen, dass alles gut ist. Dass dieser Moment gut ist. Dass man davon genießen kann, so viel man will. Es ist genug für alle da.

Duuuu Hamburg, wir haben Zweijähriges, mein Schatz.

2 Aug

Gestern stand ich mit einem unglaublich gut gekleideten, mordsmaskulinen Mann („guter Freund“ war ihm zu lasch) an den Landungsbrücken. Abends um halb 11.

Seit einigen Tagen ist in Hamburg BluePort. Wichtige Gebäude und Wahrzeichen leuchten blau oder werden blau angestrahlt. Ein Kunstprojekt. Es sieht großartig aus, auch, wenn die Masten der Rickmer Rickmers im Dunklen ein wenig gespenstisch erscheinen.

Michel

Michel

Water

Water

Rickmer Rickmers

Rickmer Rickmers

Und dann wurde zur Eröffnung der Cruise Days ein großes Feuerwerk gezündet. Das wollte ich unbedingt sehen. Nicht wegen des eigentlichen Events. Sondern weil es irgendwie so ein bisschen mein Feuerwerk war. Oder vielmehr unseres. Das von Hamburg und mir. Wir beide. Wir haben nämlich Zweijähriges.

Feuerwerk CruiseDays

Feuerwerk CruiseDays

Feuerwerk CruiseDays

Feuerwerk CruiseDays

Feuerwerk CruiseDays

Feuerwerk CruiseDays

Im Nachtrag zu meinem Text zum Einjährigen schrieb ich, was ich mir für mein zweites Jahr mit Hamburg wünsche. Unter anderem wollte ich noch mehr von der Stadt einsaugen, noch mehr neue Ecken erkunden und auch den typischen Touristenkram erleben – auch, wenn ich gar kein Tourist bin. Zum Glück. Und dann, dass ich meinen Körper weiter verändern möchte. Und dass ich gerne eine 2. Liebe neben Hamburg (nämlich in Menschenform) finden würde.

Was davon in Erfüllung gegangen ist? Einiges. Vieles. Nicht alles. Manches nur zum Teil. Es folgt eine Auflistung (auf eine durchgängige Chronologie sowie Vollständigkeit wurde verzichtet):

Cap San Diego

Cap San Diego

– Meinen 1. Hamburg-Geburtstag feierte ich auf der Cap San Diego mit einem grandiosen Sonnenuntergang.

– Ich habe mit meinem Bruder eine Alster-Rundfahrt gemacht.

Alster

Alster

Alster

Alster

Falafel

Falafel

– Ich habe bei einem Umzug geholfen und danach waren wir Falafel essen. Altes Schanzengesetz.

Pandas #WWF

Pandas #WWF

– Ich bin zwischen jeder Menge kleiner Pandabären über den Rathausplatz gelustwandelt.

– Ich habe flauschige Frühlingsblütenbäume und kunterbuntes Herbstlaub gesehen.

Frühling

Frühling

Frühling

Frühling

Herbst

Herbst

– Ich bin einfach mal so durch die Speicherstadt gestreift.

Speicherstadt.

Speicherstadt.

Speicherstadt.

Speicherstadt.

– Ich habe eine Schiffstour durch den Container-Hafen mitgemacht und hatte dabei das beste Vorabend-Fotografen-Licht der Welt.

Containerhafen.

Containerhafen.

Containerhafen.

Containerhafen.

Containerhafen.

Containerhafen.

Plätzchen

Plätzchen

Plätzchen

Plätzchen

– Ich habe so viele Hamburg-Plätzchen gebacken, dass ein ganzer Schiffsbauch davon satt werden würde.

Krankenhaus

Krankenhaus

– Ich kenne nun auch das Krankenhaus in Altona, aber nur 6 Infusionen lang. Dann durfte ich abends wieder nach Hause.

 

Hamburg rockt Alter

Hamburg rockt Alter

– Ich hab Orkan Xaver überlebt, fand das sehr spannend, habe aber keine Fotos, weil ich mich nicht raus traute. Daher einfach mal das:

Stadthausbrücke

Stadthausbrücke

– In Hamburg spielt man statt „Stadt-Land-Fluss“ wohl lieber…

Phantom der Oper.

Phantom der Oper.

– Ich war nach „König der Löwen“ in diesem Jahr auch im „Phantom der Oper“.

Ship

Ship

– Ich war am heißesten Tag des Jahres 2013 so verrückt, eine historische Fleetfahrt zu machen, habe unendlich geschwitzt, aber keinen Sonnenbrand bekommen.

Lesung

Lesung

– Ich habe bei 3 Lesungen mitgemacht.

– Ich habe dabei zugeschaut, wie die Elbe son büschen zufror und wie der Hafengeburtstag ins Wasser fiel.

Elbe

Elbe

Hafengeburtstag

Hafengeburtstag

Vergleich

Vergleich

– Ich habe 15 Kilo abgenommen.

– Ich war endlich öfter im Schanzenviertel unterwegs.

Schanze

Schanze

Schanze

Schanze

Barkasse

Barkasse

– Ich kenne nun Leute mit Freikarten für Barkassenrundfahrten.

– Ich bin schon mehrfach durch den alten Elbtunnel getingelt und finde es jedes Mal schön. Auch, die Skyline von der anderen Elbseite aus anzuschmachten.

Elbtunnel

Elbtunnel

Skyline

Skyline

– Ich bin um 5 Uhr zum Fischmarkt gegangen und habe eine 1,80m große Zimmerlinde 2 km durch Hamburg getragen. Das war ein seltsamer Sonntag.

Fischmarkt

Fischmarkt

Fischmarkt

Fischmarkt

Fischmarkt

Fischmarkt

Krameramtsstuben

Krameramtsstuben

– Ich habe endlich die Krameramtsstuben besucht. Nur umme Ecke und hach, so niedlich.

St. Pauli

St. Pauli

– Ich war auf einem St-Pauli-Spiel. Gut, wir haben verloren, aber der Sonnenuntergang war grandios.

– Ich habe die Alster und Planten un Blomen als neue Laufstrecken für mich erobert und liebe es.

Planten un Blomen

Planten un Blomen

Alster

Alster

Alster

Alster

 

– Die Michelwiese ist meine Hood.

Michelwiese

Michelwiese

Michelwiese

Michelwiese

Michelwiese

Michelwiese

Michel

Michel

Michel

Michel

WM

WM

– Die Fußball-WM wurde auf einer Dachterrasse in der Hafencity zelebriert.

Landungsbrücken

Landungsbrücken

– Ich stand nachts an den menschenleeren Landungsbrücken und habe ein Poetry-Slam-Gedicht darüber geschrieben.

Kleine Dinge

Kleine Dinge

Kleine Dinge

Kleine Dinge

– Ich habe kleine Dinge gesehen und festgestellt, selbst die passen zu Hamburg.

Nachtlauf

Nachtlauf

Nachtlauf

Nachtlauf

– Ich habe im Juni beim 10. Sport Check-Nachtlauf teilgenommen, eine neue, persönliche Bestzeit geschafft und finde es nach wie vor verrückt, dass ich das durchgezogen habe.

– Ich war sehr oft am Strand. Da habe ich mal einem Kreuzfahrtschiff gewunken und es hat dann bestimmt nur für mich zurück genebelhornt. Das war schön.

Strand

Strand

Strand

Strand

Strand

Strand

Strand

Strand

Strand

Strand

– Hamburg bei Nacht ist immer sehr großartig (das wusste ich im 1. Jahr aber auch schon).

Rathaus

Rathaus

Alster

Alster

Michel

Michel

 

– Ich habe große Pötte gesehen.

QM2

QM2

QM2

QM2

Michel&Miri

Michel&Miri

– Meine Mama, mein Papa und mein Bruder kamen mich alle nacheinander besuchen und finden es wohl doch ganz in Ordnung, dass ich in Hamburg lebe.

Rathaus

Rathaus

– Ich habe ein großes Twitpicknick an der Alster veranstaltet mit Seifenblasenmaschine und Grammophon und dringend für wiederholungswürdig befunden.

Picknick

Picknick

Picknick

Picknick

Duuu Hamburg? Machen wir doch genau so weiter, denn wir sind so voll perfekt füreinander, nä?

P.S. Ach so, liebe Liebe, noch ein Hinweis für dich…MACH MA HINNE!

Vorbildfunktion.

21 Mai
Ich bin auf dem Weg zu einem Treffen, auf das ich eigentlich nicht viel Lust habe. Es ist persönlicher Natur. Doofer persönlicher Natur.
Treffpunkt Landungsbrücken, von meiner Wohnung aus etwa 10 Minuten zu Fuß. Wenn man trödelt.
 
Etwas vermuffelt ob der Dinge, die mich erwarten würden, trabe ich über die letzte Fußgängerampel und bin fast schon da, als ich von links ein eher barsch angehauchtes: „Danke für’s Vorbild!“ vernehme.
Eine Sekunde lang bin ich irritiert, ob dieses beleidigende Etwas mir gilt, drehe den Kopf und blicke auf einen vorwurfsvoll kopfschüttelnden Mann mit seiner kleinen Tochter an der Hand, die an eben dieser Ampel, die ich überquerte, stehen und warten.
Nun ist es ja so und diese Tatsache fiel mir in Hamburg erst nach einer Weile auf: Manchmal sind Fußgängerampeln in eine Richtung noch Grün, in die andere aber bereits Rot. Ich begründe das für mich selbst mit der unterschiedlichen Anzahl von zu überquerenden Fahrbahnspuren nach dieser kleinen Mittelinsel, bin mir aber bis heute nicht sicher, ob das so stimmt. Auf jeden Fall stoppt man so die Menschen lieber gleich komplett auf der einen Seite, als dass sie dann eine ganze Ampelphase in der Mitte auf beiden Seiten von Autos und LKW umbraust werden.
 
Auf jeden Fall bin ich mir zu 100% sicher, bei Grün über die Straße gegangen zu sein.
Und nun steht da dieser Typ, Mister Super-Dad, der seine Tochter zu verkehrsbewusstem Verhalten erziehen will. Und alle fiesen Gestalten, die diesen Plan nur ansatzweise verhindern, werden verbal von ihm vernichtet. Und in seinen Augen bin ich jetzt das Negativ-Beispiel. Eine, die zeigt, wie man es nicht macht. Ich zögere noch mal einen Moment, um zu überlegen, ob ich mit dem Ignorieren dieser falschen Bemerkung leben könne, mache dann nach drei Schritten auf dem Absatz kehrt, gehe auf ihn zu und zeige mit einem: „Verzeihung, sehen Sie da oben die Ampel?“ auf das grüne Männchen, das freudig für die Menschen leuchtet, die aus der selben Richtung kommen wie ich eben.
Er schaut etwas verwirrt nach oben, dann wieder zu mir.
„Wie Sie vielleicht sehen“, erläutere ich in einem betont höflichen Ton, „bin ich durchaus bei Grün über die Ampel gegangen. Oh, und was Sie nicht wissen konnten: Ich bin Lehrerin und weiß dadurch sehr wohl, wie man sich an Ampeln gegenüber Kindern verhält. Aber vielleicht sollten Sie sich mal überlegen, welches Vorbild Sie für Ihre Tochter abgeben, wenn Sie einfach ungerechtfertigter Weise fremde Leute auf der Straße anpöbeln. Schönen Tag noch.“
 
Ich hinterlasse einen völlig perplexen Super(beschämten)-Dad, der sich bemüht, seinen tief hängenden Unterkiefer wieder zu kontrollieren und gleichzeitig den Kragen seines Mantels peinlich berührt nach oben klappt und im Weggehen höre ich nur noch eine süße, hohe Mädchenstimme, die neugierig zirpt: „Papa, wer war die Frau?“